
Veröffentlicht am: 10.09.2020
Zum Auftakt der fünfundzwanzigsten Runde stellen wir die Frage “Lösen Flüchtlinge den Personalmangel im Sicherheitsgewerbe?“
Im Interview mit
Michael Wronker · Vizepräsident des BVMS e.V.,
Michael Metz · Betriebsleiter Security (Bereich Süd) der ISS Communication Service GmbH,
Marcus Karallus · Leiter des Akademiebetriebs der Power Akademie GmbH,
Dirk Dernbach · Geschäftsführer der SECURITAS Sport & Event GmbH & Co. KG,
Bernd M. Schäfer · Geschäftsführender Gesellschafter der Atlas Versicherungsmakler für Sicherheits- und Wertdienst GmbH,
Peter Haller · Geschäftsführender Gesellschafter der All Service Sicherheitsdienste GmbH.
Eine kurze Einleitung
Der Höhepunkt der Flüchtlingsströme, die Deutschland erreichten, jährt sich in diesem September zum fünften Mal. Verbunden waren damit nicht nur gesellschaftliche und politische Verwerfungen, sondern auch positive Erwartungen, wie sie beispielsweise das Sicherheitsgewerbe hegte: ein wachsender Pool an potenziellen Mitarbeitern, von denen sich die Branche – wie andere auch – eine Linderung des Fachkräftemangels erhoffte. Zwar haben einige den Weg zu den Sicherheits-Dienstleistern gefunden, doch im Großen und Ganzen haben sich die Hoffnungen nicht erfüllt. Woran liegt das nach Ihrer Meinung? Sehen Sie die Chance, das Blatt noch zu wenden? Und wenn ja: Was müsste dafür getan werden?

Bernd M. Schäfer
Geschäftsführender Gesellschafter der ATLAS Versicherungsmakler für Sicherheits- und Wertdienste GmbH
„Die Situation im Sicherheitsgewerbe wird sich zwangsläufig ändern“
Aus meinen Kontakten mit einer Reihe von Flüchtlingen kann ich sagen, dass ein wesentlicher Grund die schlechten Sprachkenntnisse sind. Es gibt leider immer weniger Stellen in der Sicherheitswirtschaft, bei denen die Mitarbeiter nicht mitdenken oder nicht kommunizieren müssen. Sprache ist dabei die unerlässliche Voraussetzung, um zu bestehen. Menschen ohne große Sprachkenntnisse gehen eher in die Gebäudereinigung – zwar kann nicht jeder putzen (um einem gängigen Vorurteil zu widersprechen), aber jeder kann sehen, ob es sauber ist und gegebenenfalls nacharbeiten. Und eine Einweisung kann dort eben auch mit Gesten und Vormachen erfolgen.
Die Situation wird sich allerdings auch im Sicherheitsgewerbe nach und nach ändern, denn die sprachliche Qualifikation jener, die mitarbeiten wollen, wird besser. Und die Not jener, die sie brauchen, wird größer. Immer weniger Bewerber am Arbeitsmarkt treffen auf einen wachsenden Bedarf in der Sicherheitswirtschaft.
Geändert werden müsste Einiges: Der Ruf der Branche müsste besser werden; es klebt an ihr das Image, dass dort nur die hingehen, die es woanders nicht schaffen. Und dafür müsste die Bezahlung steigen und attraktiver werden. Was für junge Menschen viel wichtiger ist als früher, ist das Thema flexible Arbeitszeiten. Zwar passt das nicht gut mit festen Einsatzzeiten zusammen, die von den Auftraggebern gefordert werden, aber Fantasie ist gefragt. Hier steht die Sicherheitswirtschaft noch ganz am Anfang.

Dirk Dernbach
Geschäftsführer der SECURITAS Sport & Event GmbH & Co. KG
„Mangelhafte Sprachkenntnisse sind wesentliches Hindernis“
Derzeit habe ich in meinem Geschäft mit Flüchtlingen nicht viel bis gar nichts zu tun. Deshalb fällt es mir schwer, die Frage fundiert zu beantworten. Und wie Dieter Nuhr gerne sagt: „Wenn man keine Ahnung hat – einfach mal Fresse halten.“ Insofern kann ich nur die Erfahrungen diverser Kollegen wiedergeben, die als eines der wesentlichen Hemmnisse bei der Einstellung von Flüchtlingen mangelnde Kenntnisse der deutschen Sprache ausgemacht haben. Gemäß der Bewachungsverordnung ist es für jede Person, die Sicherheitsaufgaben durchführt, unerlässlich, als Mindestvoraussetzung das IHK-Unterrichtungsverfahren zu absolvieren. Das wiederum regelt in § 6, dass die zu unterrichtende Person über die zur Ausübung der Tätigkeit und zum Verständnis des Unterrichtungsverfahrens unverzichtbaren deutschen Sprachkenntnisse verfügt, mindestens auf dem Kompetenzniveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Kompetenzrahmen. B1 ist die dritte Stufe auf einer sechsstufigen Kompetenzskala und bestätigt die selbstständige Verwendung der deutschen Sprache. Die Prüfung besteht aus einem mündlichen und einem schriftlichen Teil. Die schriftliche Prüfung dauert 2,5 Stunden. Könnte eine Erklärung sein!

Marcus A. Karallus
Leiter Akademiebetrieb der Power Akademie GmbH
„Mehr Aufklärung über das Bildungs- und Qualifikationssystem“
Viele Menschen verlassen ihre Heimat aus Furcht vor Folter und Tod. Dabei wägen sie selten ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt des Ziellandes mit all seinen Herausforderungen ab. Es sind häufig nicht nur mangelnde Sprachkenntnisse, sondern auch erhebliche Unterschiede im Schul- und Ausbildungssystem der Herkunfts- und Zielländer, die den Start ins Berufsleben erschweren, dazu zählen oft auch nicht anerkannte Berufsabschlüsse. Doch auch für den Zugang zu einfachen Berufen bedarf es am hiesigen Arbeitsmarkt eines Berufsabschlusses.
Die Gehaltsvorstellungen sind häufig im Verhältnis zu den allgemeinen Lebenshaltungskosten nicht realisierbar. Viele Betroffene rechnen den durchschnittlichen Lohn von Euro in die jeweilige Landeswährung um und vergleichen das mit den Lebenshaltungskosten ihres Heimatlandes. Dagegen berücksichtigen sie nicht die erheblichen Mehrausgaben für Miete und Lebensmittel im Zielland. Oder sie gehen aufgrund falscher Informationen, die beispielsweise von Schleppern verbreitet werden, davon aus, dass Wohnraum dauerhaft, auch nach Arbeitsaufnahme, unentgeltlich gestellt wird.
Es sollte mehr Aufklärung über das Bildungs- und Qualifikationssystem sowie über die Anforderungen des Arbeitsmarkts des Ziellandes betrieben werden. Eine spezifische Berufsberatung mit vorangestellter Stärken/Schwächen-Analyse könnte helfen, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen kompetenzgerecht an die Bewerber zu vermitteln. Die Sicherheitsbranche selbst könnte proaktiv, etwa über Social-Media-Kanäle, den Kontakt, mit Interessierten aufnehmen und sich dabei diversitätsnah präsentieren.

Michael Metz
Niederlassungsleiter Rhein-Main & Region Süd bei Apleona Security Services
„Nötig wäre eine zielgerichtete Ausbildungsoffensive“
Niemand hatte damit gerechnet, dass eine solch große Anzahl an Flüchtlingen zu uns kommen würde. Die öffentlichen Verwaltungen waren zum damaligen Zeitpunkt mit der Situation überfordert. Eine geordnete Aufnahme der Flüchtlinge in unsere bestehenden Systeme des Sicherheitsgewerbes war nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich. So erschwerten die Anforderungen des Bewachungsregisters den Einsatz von „Menschen aus Flüchtlingsgebieten“, da diese einige Voraussetzungen nur bedingt erfüllen.
Weitere Hürden waren und sind: fehlende Sprachkenntnisse, fehlende Kenntnisse gesetzlicher Regularien, andere kulturelle Verhaltensweisen, Kenntnisse sowie Aufarbeitung traumatischer Erlebnisse. Folglich mussten entsprechende Programme angeboten und finanziert werden.
Ich bin fest davon überzeugt, dass die öffentlichen Verwaltungen und Unternehmen umfangreiche Maßnahmen zur Integration anbieten. Dennoch ist ein verbessertes Fachkräfteangebot für den von mir zu verantwortenden Sicherheitsbereich kaum spürbar. Eine effektive Maßnahme zur Aufnahme von Menschen aus Flüchtlingsgebieten in die Sicherheitsbranche wäre eine zielgerichtete Ausbildungsoffensive mit konkreten Angeboten. Die könnte Ausbildungen umfassen zur „Servicekraft für Schutz und Sicherheit“ sowie zur „Fachkraft für Schutz und Sicherheit“ unter Berücksichtigung integrativer Programme zur Vermittlung von kulturellen Werten sowie Sprach- und Digitalisierungskompetenzen. Des Weiteren sind Fördermaßnahmen zur persönlichen Weiterentwicklung in Sachen interkulturelle Kompetenz notwendig.

Michael Wronker
Vizepräsident des Bundesverbands mittelständischer Sicherheitsunternehmen e. V. (BVMS)
„In vielen Fällen klappt es erstaunlich gut“
Ein spannendes Thema. Als Dozent habe ich in fast jedem Lehrgang zur Vorbereitung auf die Sachkundeprüfung gemäß § 34a GewO geflüchtete Menschen aus vielen Ländern – Marokkaner, Tunesier, Syrer und andere. Viele davon sind wirklich gewillt, ihr Leben in Deutschland auf ein solides Fundament zu stellen. Das klappt in den meisten Fällen erstaunlich gut. Es sind wirklich tolle Menschen darunter, die in Zukunft einen hervorragenden Dienst machen werden. In einigen wenigen Fällen scheitert es leider an den Sprachkenntnissen.
Auch in der 40-stündigen IHK-Unterrichtung trifft man auf Geflüchtete. Allerdings stellt man hier leider noch mehr Mängel in der deutschen Sprache fest. Sprache ist aber mit das Wichtigste, um in der Sicherheitsbranche einen vernünftigen Dienst auszuüben. Ich weiß allerdings nicht, wie weit meine Sprachkenntnisse nach fünf Jahren in einem fremden Land wären. Darum müssen wir behutsam mit dieser Problematik umgehen.
Darüber hinaus stelle ich fest, dass sich der eine oder andere Geflüchtete nicht so einfach an die Regeln unserer Gesellschaft gewöhnen kann. Ab und zu ist die Einstellung zur Stellung der Frau in unserer Gesellschaft noch nicht richtig ausgebildet. Auch die Beachtung der Regeln einer Gesellschaft sind Grundlage, um einen vernünftigen Dienst zu verrichten.
Ich bin davon überzeugt, dass viele Geflüchtete in Zukunft die Sicherheitsbranche bereichern werden. Für diejenigen, die dazu leider noch nicht in der Lage sind, heißt es: Deutsch lernen und die persönliche Einstellung ändern. Dann werden die Geflüchteten und die Sicherheitsbranche gemeinsame Gewinner sein.

Peter Haller
Geschäftsführender Gesellschafter der All Service Sicherheitsdienste GmbH
„All Service macht ab Herbst Flüchtlinge fit fürs Sicherheitsgewerbe!“
Gesetzliche Rahmenbedingungen ermöglichen Flüchtigen oft nicht, im Sicherheitsgewerbe tätig zu werden. Eine Hürde sind zum Beispiel auch die Sprachkenntnisse.
Das Ausbildungszentrum der All Service Sicherheitsdienste GmbH startet im Herbst 2020 ein Projekt mit dem Deutschen Roten Kreuz, die selbst Flüchtlingsunterkünfte betreuen. Ziel ist es, Flüchtlinge fort- und auszubilden und in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Hierfür wurde ein detailliertes Konzept erstellt. Die Flüchtlinge werden in diversen Bereichen fortgebildet und erhalten einen praktischen Einblick in die Arbeitswelt.
Das Ausbildungszentrum bereitet Flüchtlinge gezielt auf eine Tätigkeit im Sicherheitsgewerbe vor und bietet ihnen so die Chance für eine dauerhafte Beschäftigung. Ebenfalls wurden diverse Aus- und Fortbildungen durchgeführt und auf den Gebieten Erste Hilfe, Brandschutz, Deeskalation, Kommunikation, medizinische Grundlagen und weiteren Themen geschult.
Es wird vermutlich noch einige Zeit dauern, bis die Problematik bezüglich der Aufnahme für Flüchtlinge im Sicherheitsgewerbe geregelt ist. So lange wir ausreichend Maßnahmen einleiten, sie zu fördern, und auf diesem Weg mitbegleiten, werden wir sicherlich mehr potenzielle Mitarbeiter gewinnen.