Veröffentlicht am: 13.07.2021

Raphael aus der Wiesche

Raphael aus der Wiesche ist am 18.07.1997 in Neu-Ulm geboren. 2016 hat er erfolgreich sein Abitur abgeschlossen und im selben Jahr mit dem Studium der Rechtswissenschaften an der Friedrich-Wilhelms – Universität in Bonn begonnen.
Seit 2017 lebt und studiert er in Berlin.
In seinem Studium interessiert er sich besonders für das allgemeine Sicherheits- und Ordnungsrecht.

Arbeitnehmerüberlassung

Nach einer Studie der Hans-Boeckler-Stiftung waren in Deutschland im Jahr 1991 etwa 131.000 Leiharbeitnehmer tätig. Diese Zahl kletterte im Jahr 2006 auf ca. 444.000 und erreicht zehn Jahre später einen Höchststand von fast einer Million Beschäftigten. Einzig in Zeiten der Finanzkrise um das Jahr 2008 ist ein leichter Rückgang zu verzeichnen.

Der Erfolg von Arbeitnehmerüberlassung ist auf das steigende Bedürfnis nach Flexibilität zurückzuführen. Außerdem lässt sich eine Parallele zur Liberalisierung der Hartz-Vorschriften beobachten. Mit Einführung des Mindestlohns und einer Reform im Jahr 2017 (dazu gleich mehr) könnte der Anteil an Zeitarbeitern jedoch mittelfristig wieder sinken.

Fakten

Vor allem mittelständische Betriebe bieten Leiharbeit an. Rund die Hälfte der Zeitarbeitsfirmen beschäftigen nicht mehr als 19 Mitarbeiter. Etwa ein Zehntel stellen 100 Arbeitskräfte zur Verfügung. Es gelten die Vorschriften rund um den Betriebsrat auch für Zeitarbeitsfirmen. Aufgrund der geringen Größe verfügen die Angestellten nur selten über eine Mitarbeitervertretung. Im Durchschnitt ist ein Leiharbeitnehmer 10,3 Monate für ein Unternehmen tätig. Zum Vergleich: bei der Stammbelegschaft beträgt die durchschnittliche Beschäftigungsdauer 50,3 Monate. Etwa drei Viertel der Angestellten sind männlich. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Geschäftsmodell besonders im gewerblichen Bereich vorkommt.

Die Meinungen über das atypische Beschäftigungsmodell sind geteilt. Während Gegner ein Zweiklassensystem befürchten, argumentieren Befürworter, vor allem Langzeitarbeitslosen einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. So waren 70 Prozent der Belegschaft vorher ohne Beschäftigung. Um sich einen Eindruck über die Vor- und Nachteile der Leiharbeit zu verschaffen, ist es ratsam, die einschlägigen Rechtsvorschriften näher zu betrachten.

Grundlagen

Die Arbeitnehmerüberlassung ist durch eine vertragliche Dreiecksbeziehung gekennzeichnet. Der Verleiher überlässt dem Entleiher eine Arbeitskraft (Leiharbeitnehmer), damit dieser für einen bestimmten Zeitraum eine Tätigkeit in dessen Interessenkreis ausführt. Daher spricht man auch vereinfacht von Leiharbeit oder Zeitarbeit. Bis zur Anpassung der europäischen Leiharbeitsrichtlinie (2008/104/EG) unterschied man in gewerbsmäßige und nicht gewerbsmäßige Zeitarbeit. Diese Unterteilung wurde im Jahr 2012 gestrichen. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ist heute ausschließlich auf Betriebe anwendbar, die Leiharbeit mit Gewinnerzielungsabsicht anbieten.

Da der Entleiher mit dem Arbeitnehmer selbst in keiner unmittelbar vertraglichen Beziehung steht, ermöglicht die Zeitarbeit ihm mehr Flexibilität. Denn er kann die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers jederzeit beenden, ohne dass Kündigungsvorschriften zur Anwendung kommen.

Leiharbeit und Werkarbeit

Um eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung zu verhindern, muss der Überlassungsvertrag gemäß §1 Abs. 1 S. 5 AÜG ausdrücklich als solcher bezeichnet werden. Andernfalls ist der Überlassungsvertrag unwirksam. Dann entsteht nach § 10 AÜG automatisch ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Arbeitnehmer. Das hätte zur Folge, dass der Kündigungsschutz anwendbar ist. Ebenso muss der Überlassungsvertrag schriftlich verkörpert werden, mündliche Anreden sind formwidrig. Aus Gründen der Beweiskraft und Rechtssicherheit hat der Verleiher zu erklären, dass er die erforderliche Erlaubnis besitzt.

Der Grundgedanke von Überlassungsverträgen stimmt im Wesentlichen mit Werksarbeit überein. Auch der Werksarbeitnehmer verpflichtet sich durch einen Werksvertag, eine bestimmte Leistung für einen Auftraggeber zu erbringen. Allerdings verrichtet er die bestellte Leistung mit eigenen Mitteln, und im Unterschied zu Zeitarbeitern ist er nicht in die betriebliche Organisation des Auftraggebers eingegliedert. Für das Stammunternehmen des Werkarbeiters entfällt außerdem die Erlaubnispflicht.

Erlaubnispflicht

In der Praxis ist Zeitarbeit für die Arbeitnehmer eher nachteilig. Der Entleiher greift auf das Arbeitsmodell vor allem dann zurück, wenn eine Einstellung externer Mitarbeiter günstiger ist, als die unternehmenseigenen zu beschäftigen. Das Gehaltsniveau liegt daher meist unter dem der Stammarbeitnehmer. Aus diesem Grund wurde das AÜG zum 1. April 2017 reformiert und Schutzvorschriften erlassen, die sich an einer Leiharbeit-Richtlinie der Europäischen Union orientieren.

Das Leiharbeitsverhältnis muss demnach von der Bundesagentur für Arbeit genehmigt werden. Dieser in § 1 Abs. 1 AÜG manifestierte Grundsatz ist mit einer Auflistung von Ausnahmen in Abs. 3 der gleichnamigen Vorschrift versehen. Die relevanteste Ausnahme hiervon ist die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung. Eine Genehmigung ist dort entbehrlich, sofern der Mitarbeiter nicht gerade zum Zweck der Überlassung eingestellt wurde.

Die Genehmigungspflicht soll gewährleisten, dass nur zuverlässige Personen eine Arbeitskraft ausleihen können. So ist die Erlaubnis nach § 3 AÜG zu versagen, wenn der Verleiher die ordnungsgemäße Zuverlässigkeit nicht besitzt (Nr. 1), nach der Gestaltung seiner Betriebsorganisation nicht in der Lage ist, die üblichen Arbeitgeberpflichten ordnungsgemäß zu erfüllen (Nr. 2) oder dem Leiharbeitnehmer die ihm nach § 8 zustehenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts nicht gewährt (Nr. 3).

Eine Verletzung der Erlaubnispflicht hat die Unwirksamkeit des Überlassungsvertrages zur Folge. Dies führt auch zur Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages zwischen dem Verleiher und dem Arbeitnehmer. Damit dieser nicht zum Leidtragenden einer Vorschrift wird, die ihn eigentlich schützen soll, ordnet § 10 AÜG in diesem Fall automatisch ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und Arbeitnehmer an. Dieses kraft Gesetz entstehende Arbeitsverhältnis ist ein befristetes Arbeitsverhältnis, sofern die eigentliche Tätigkeit nur befristet vorgesehen war. Die Leistungspflichten, die der Entleiher dann bewirken muss, ergeben sich aus dem, was im Betrieb üblich ist.

Überlassungsdauer

Leiharbeit ist vorübergehende Arbeit. Die Arbeitskraft darf im Regelfall nur 18 aufeinanderfolgende Monate bei demselben Verleiher tätig werden. Durch Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen kann diese Frist auf bis zu 24 Monate ausgedehnt werden. Dann muss es sich allerdings um einen Tarifvertrag in der Einsatzbranche handeln. Tarifliche Zeitarbeitsverträge sind weiterhin an die 18 Monate gebunden. Entsprechendes ist auf Dienst- und Betriebsvereinbarungen anwendbar. Hintergrund der Beschränkung ist die Überlegung, dass die Einstellung eigener Mitarbeiter gefördert werden soll.

Nicht selten kommt es zu einer Festanstellung von Zeitarbeitern. Die Mitarbeiter bleiben dem Betrieb dann nach Ablauf der Frist erhalten und werden zur Stammbelegschaft. Man bezeichnet dieses Phänomen als Klebeeffekt. Der Anteil übernommener Arbeitnehmer variiert je nach Branche. Während er im öffentlichen Dienst circa 30 Prozent beträgt, liegt er in der Sicherheitsbranche bei ungefähr 14 Prozent.

Equal Pay

In § 8 AÜG sind die wohl wichtigsten Schutzvorschriften für den Arbeitnehmer enthalten. Diese dienen der Gleichstellung gegenüber den Stammarbeitnehmern in allen wesentlichen Arbeitsbedingungen. Da dies im Wesentlichen die Vergütung betrifft, spricht man oft von Equal Pay/Equal Treatment. Equal Pay meint, dass ausgeliehene Arbeitskräfte für die gleiche Tätigkeit genauso viel verdienen sollen wie interne Mitarbeiter. Was als wesentliche Arbeitsbedingung angesehen wird, ist durch Auslegung zu ermitteln und ergibt sich aus dem Zweck des Arbeitsvertrages. Erste Anhaltspunkte bietet eine Aufzählung in 32 Abs. 1 Nachweisgesetz (NachwG).

Darin sind etwa genannt:

  • der Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses,
    bei befristeten Arbeitsverhältnissen: die vorhersehbare Dauer des Arbeitsverhältnisses,
    der Arbeitsort,
  • die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts und deren Fälligkeit,
    die vereinbarte Arbeitszeit
  • die Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs,
  • die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, (…).


Von dem Gleichstellungsgrundsatz kann allerdings durch Tarifverträge nach Paragraf 8 Abs. 2 AÜG abgewichen werden, soweit die Lohnuntergrenze nicht unterschritten wird. Folglich relativiert Abs. 2 das Schutzniveau des Equal Treatment. Durch die Lohnuntergrenze wird ein branchenüblicher Mindestlohn festgelegt. Die Summe kann von Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen vorgeschlagen werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales legt diesen am Ende verbindlich fest.

Leiharbeitsvertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer

Das Verhältnis zwischen dem Verleiher und Leiharbeitnehmer unterscheidet sich von klassischen Arbeitsverhältnissen insbesondere durch Bestimmungen aus § 11 AÜG. So hat der Verleiher die auszuführende Tätigkeit zusammenzufassen und dem Mitarbeiter eine schriftliche Niederschrift auszuhändigen. Die Niederschrift umfasst die Adresse der Firma, Ort und Datum, die behördliche Erlaubnis und gegenseitig zu erbringenden Leistungspflichten. Vor jeder Aufnahme einer Leihtätigkeit ist der Arbeitnehmer erneut über die Überlassung zu informieren. Falls der Verleiher für einen Mitarbeiter keinen Entleihbetrieb findet, bleibt dessen Vergütungsanspruch ungeachtet dessen bestehen. Andernfalls würde das unternehmerische Risiko einseitig auf den Arbeitnehmer verlagert werden.

Sofern keine ergänzenden oder spezielleren Leiharbeitsvorschriften zur Anwendung kommen, gelten die allgemeinen arbeitsrechtlichen Regeln. So richten sich die Kündigungsfristen beispielsweise nach § 622 Bürgerliches Gesetzbuch. In der Praxis werden die gesetzlichen Fristen jedoch durch Tarifverträge häufig umgangen, wodurch es zu erheblichen Unterschieden in der Branche kommt. Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ist anwendbar, wenn der Verleiher kein Kleinbetrieb ist und der Mitarbeiter mindestens sechs aufeinanderfolgende Monate für den Verleiher tätig war. Sofern das KSchG anwendbar ist, muss die Kündigung sozial gerechtfertigt sein. Andernfalls kann der Arbeitgeber nahezu grundlos kündigen. Einzige Schranke wäre die Missbrauchskontrolle.

Verhältnis von Entleiher und Leiharbeitnehmer

Wie bereits mehrfach erwähnt, besteht zwischen dem Arbeitnehmer und dem Entleiher kein Arbeitsverhältnis. Aufgrund des Überlassungsvertrages willigt die Arbeitskraft allerdings ein, sich an das Direktionsrecht des Entleihers zu halten.

Nach § 9 Abs. 1 AÜG hat der Arbeitnehmer ein Widerspruchsrecht, wenn ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher aufgrund eines unwirksamen Überlassungsvertrags zustande gekommen ist (siehe oben). Er hat außerdem einen Anspruch auf Schadensersatz, sofern er einen Schaden erlitt, weil er auf die Wirksamkeit des Arbeitsverhältnisses mit dem Verleiher vertraute. Eine fahrlässige Unkenntnis führt weder zum Verlust noch zur Minderung des Anspruchs.

Verhältnis zwischen Verleiher und Entleiher

Das vertragliche Verhältnis zwischen Verleiher und Entleiher wird durch den Überlassungsvertrag konstituiert. Dieses wird auch als Dienstverschaffungsvertrag bezeichnet. Der Dienstverschaffungsvertrag ist ein Vertrag eigener Art und hat es nicht in das Bürgerliche Gesetzbuch geschafft. Dennoch gelten die allgemeinen Pflichten zur Rücksichtnahme gegenüber dem Vertragspartner. Gegenüber dem Entleiher haftet der Verleiher nur für eigenes Verschulden. Für Fehler der Arbeitskraft hat er nicht einzustehen, denn im Überlassungsvertrag geht es nicht um die Arbeitsleistung, sondern lediglich um die Überlassung des Mitarbeiters. Auf der anderen Seite führt dies dazu, dass der Verleiher unverzüglich eine neue Arbeitskraft zur Verfügung stellen muss, sofern ein Arbeitnehmer wegen Krankheit, Urlaub oder sonstiger Gründen ausfällt. Wie der Arbeitnehmer, so hat auch der Entleiher einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verleiher, wenn er auf das Bestehen der erforderlichen Erlaubnis vertraute.

Der Entleiher schuldet dem Verleiher hauptsächlich Geld. Er hat die im Überlassungsvertrag vereinbarte Vergütung zu entrichten. Darüber hinaus kann sich ein Zahlungsanspruch durch Personen- oder Sachschäden ergeben, die dem Arbeitnehmer zugefügt werden.