
Veröffentlicht am: 04.07.2022
Chaos am Flughafen oder wie blinder Aktionismus unseren Urlaub retten soll…
Die Corona-Pandemie traf viele Unternehmen hart. Flughafenbetreiber, Fluggesellschaften und Dienstleister hatten unterschiedliche Arten auf die Herausforderungen der Pandemie zu reagieren. Entlassungen und Kurzarbeit waren hier begehrtes Mittel zum Zweck. Vor allem mithilfe von Entlassungen haben einige Firmen kurzfristig ihr betriebswirtschaftliches Ergebnis durch die Pandemie „retten“ können. Die Quittung kommt jetzt, Schritt für Schritt. „Chaos an deutschen Flughäfen“ steht fast täglich so oder so ähnlich in großen Buchstaben auf den Titelseiten der Boulevardpresse. Das Chaos regiert nicht überall, tatsächlich sind es nur wenige, dafür aber sehr große Flughäfen, die jetzt Probleme haben.
Es wäre einen Hauch zu unverschämt, den berühmten „Weihnachten kommt jedes Jahr völlig unerwartet“-Spruch rauszuhauen, aber ein Stück weit passt es. Es war zu erwarten, dass die Fluggastzahlen wieder hochgehen und kurzsichtige Entlassungen zwar das Ergebnis verbessern werden, aber ihren Preis haben. Der Preis wird nun von den Fluggästen bezahlt. Der langersehnte Urlaub beginnt mit einem Haufen Ärger und Unmut, für einige ist er zu Ende, bevor er begonnen hat.
Am Horizont zeichnet sich die Lösung ab, zumindest wenn man dem amtierenden Bundesarbeitsminister Hubertus Heil glaubt: Fachkräfte aus dem Ausland sollen es retten.
Klar, wieso nicht? Wenn sie entsprechend qualifiziert sind und ausreichend in ihre Aufgaben und Tätigkeiten eingewiesen wurden – was spricht dagegen?
Als Erstes wäre da das Zeitfenster. Man spricht von einem Monat Vorbereitungszeit, um die Mitarbeiter auf Aufgaben am Flughafen vorzubereiten. Bei der Nennung des zeitlichen Rahmens schütteln viele Branchenkenner ungläubig den Kopf.
Hier geht es neben der Vorbereitung auf die zukünftigen Aufgaben im Sicherheitsbereich des Flughafens auch um die Zuverlässigkeit. Die Voraussetzungen sind im LuftSiG (Luftsicherheitsgesetz) geregelt. Diese umfassen unter anderem eine ZUP (Zuverlässigkeitsprüfung), für die die Luftsicherheitsbehörde zuständig ist. Die ZUP dauert im Durchschnitt 4–6 Wochen.
Wie will man dies in einem Monat für tausende Nicht EU-Bürger lösen? Allein die Anzahl der Prüfungen würde den Zeitrahmen schon bei Bewerbern mit deutscher Staatsangehörigkeit oder langjährigem Aufenthalt von EU und Nicht EU-Bürgern sprengen. Wie soll sichergestellt werden, dass in diesem Zeitrahmen auch die notwendigen Daten und Informationen aus dem Ausland, hier der Türkei, zur Verfügung gestellt werden? Wie will man objektiv die Sicherheit des Flugbetriebes gewährleisten?
Bei allem Verständnis für die angespannte Lage und den Zuständen an einigen Flughäfen – es kann und darf nicht sein, dass diese Lage auf Kosten der Sicherheit des Flugbetriebs entschärft wird. Abgesehen davon stößt dieser Zeitrahmen auch bei Mitarbeitern auf Unverständnis. Mitarbeiter, die hier deutlich länger geschult wurden und dann teilweise monatelang auf die Freigabe für den Sicherheitsbereich warten mussten.
Diese Bedenken, hinsichtlich Qualifikation und Zuverlässigkeitsüberprüfung teilen unter anderem auch Gewerkschaften.
Also, selbst wenn das Bürokratiemonster entschärft und auf ein Minimum reduziert werden würde, der Prozess wird Monate dauern und in der unmittelbar anstehenden Urlaubssaison keine Entlastung bringen. Oder man sorgt für die entsprechenden Gesetzesänderungen, um diesen Vorgang zu beschleunigen – auf Kosten der Sicherheit. Beides kann nicht gewollt sein.
Wie könnte eine Lösung aussehen? Wie könnten Anreize für Bewerber aussehen? Vor Corona waren diese Mitarbeiter da, es gibt also qualifiziertes Personal mit gültiger ZUP. Der Flughafen insgesamt muss ein hochattraktiver Arbeitgeber sein, sowohl direkt als auch bei seinen Dienstleistern. Die Lösung vor Corona waren u. a. Zeitarbeitsfirmen für 12 Euro Stundenlohn. Jetzt tauchen diese Stellenanzeigen wieder vermehrt auf und immerhin stehen dort jetzt satte 13, manchmal sogar 14 Euro pro Stunde. Wen wundert es, dass ehemalige Mitarbeiter mit neuen Arbeitsplätzen außerhalb des Flughafens nicht an einer Rückkehr interessiert sind. Die Schaffung von attraktiven Anreizen könnte die Situation vielleicht etwas entschärfen, aber auch das ist nicht die Lösung.
Sprechen wir hier von dem überall zitierten Fachkräftemangel? Ein wenig, auch wenn sich am Begriff „Fachkraft“ sicher die Meinungen teilen. Das Problem ist hausgemacht und auch die Bundesregierung, die sich an die Seite stellt und die Schuld bei den Unternehmen sucht, hat hier Verantwortung zu übernehmen. Diese Aufgabe liegt bei der Bundespolizei und wird überwiegend an private Dienstleister weitergegeben. So ist die Lücke in der Personaldecke auf den Mangel an Mitarbeitern, Luftsicherheitsassistenten und Kontrollkräften zurückzuführen, die am Anfang der Pandemie aus betriebswirtschaftlichen Gründen entlassen wurden.
Ausbaden werden es die Flugreisenden und die Mitarbeiter vor Ort, nicht aber die verantwortlichen Manager und Politiker. Nicht zu vergessen sind die Kollegen in der Türkei, die vielleicht schon bereitstehen, um uns zu unterstützen. Auch sie gehören dabei zu den Verlierern.
Nebenbei bemerkt, ein ähnliches Problem haben Veranstalter und Gastronomen. Viele Dienstleister trennten sich von den Mitarbeitern, die jetzt in anderen Branchen eine Heimat gefunden haben. Was das bedeutet, konnte man vor Kurzem erst bemerken. So wurde das PULS Open Air abgebrochen, weil es nicht genug Sicherheitskräfte gab.
Dass es auch anders geht, beweisen Dienstleister, die viel riskierten und an ihren Mitarbeitern festhielten. Diese können heute auf volle Auftragsbücher und einen sicheren Geschäftsbetrieb blicken.
Uns erwartet ein heißer Sommer…
Wie fair ist eigentlich der Tarifabschluss in der Luftsicherheit? - Das könnt ihr in unserer Frage in die Runde nachlesen: HIER