Veröffentlicht am: 09.11.2022

Raphael aus der Wiesche

Raphael aus der Wiesche ist am 18.07.1997 in Neu-Ulm geboren. 2016 hat er erfolgreich sein Abitur abgeschlossen und im selben Jahr mit dem Studium der Rechtswissenschaften an der Friedrich-Wilhelms – Universität in Bonn begonnen.
Seit 2017 lebt und studiert er in Berlin.
In seinem Studium interessiert er sich besonders für das allgemeine Sicherheits- und Ordnungsrecht.

Fachkräftemangel

Ursachen und mögliche Wege aus der Krise

Das Sicherheitsgewerbe kämpft mit Engpässen von Fachpersonal. Fachkräftemangel äußert sich in diesem Jahr mit mehr als 11.000 unbesetzten Stellen. Ausbildungsberufe in der Sicherheit verzeichnen bundesweit die höchste Abbruchquote. Doch was zeichnet eine vielbeschworene Fachkraft eigentlich aus? Wie lassen sich die Engpässe bewältigen?

Fachkräftemangel ist nicht Arbeitskräftemangel

Selten findet man eine Trennlinie in dieser Diskussion. Erworbenes Fachwissen wird zum Teil mit dem Absolvieren einer Unterrichtung oder dem Bestehen einer Sachkundeprüfung nach § 34a Abs. 1 GewO gleichgesetzt. Dabei handelt es sich hier lediglich um gewerberechtliche Mindestvoraussetzungen, um überhaupt (irgend)einer Tätigkeit in der Sicherheitsbranche nachgehen zu dürfen.
Richtigerweise muss man also differenzieren und den Fachkräftemangel von einem Arbeitskräftemangel unterscheiden. Fachkräfte verfügen über weitere Expertise. Diese wird zum Beispiel im Rahmen eine Ausbildung zur Fach- oder Servicekraft für Schutz und Sicherheit erworben. Oder anhand einer Weiterbildung, wie etwa dem IHK-Lehrgang zur Geprüften Sicherheits- und Schutzkraft.

Keine andere Branche verzeichnet so viele Ausbildungsabbrüche

Ein staatlich koordiniertes Bildungsangebot für Sicherheitsmitarbeiter wurde lange Zeit vernachlässigt. Mit zunehmender Größe und dem damit einhergehenden Bedeutungsgewinn privater Wachdienstleistungen sah sich der Gesetzgeber jedoch Anfang der Jahrtausendwende in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen zu reformieren.
So wurden sicherheitsrelevante Ausbildungen im Jahr 2002 erstmals ins staatlich anerkannte System dualer Ausbildungsberufe eingebettet. Im Jahr 2005 wurde der Lehrgang zur Werkschutzfachkraft „entstaubt“ und durch die Aufstiegsqualifikation zur Geprüften Schutz- und Sicherheitskraft ersetzt. Im selben Jahr wurde das Luftsicherheitsgesetz modernisiert und der Beruf des Luftsicherheitsassistenten entstand.

Der Haken ist aber: die Angebote werden nur selten wahrgenommen. Seit Einführung der Ausbildung zur FKSS und SKSS wurden ca. 20.600 Ausbildungsverträge geschlossen. Davon sind lediglich 12.300 Ausbildungsverhältnisse erfolgreich zu Ende gebracht worden. Mit anderen Worten haben etwa 40 Prozent die Ausbildung vorzeitig abgebrochen oder nicht erfolgreich zu Ende gebracht. Das Sicherheitsgewerbe liegt damit in der Statistik abgebrochener Ausbildungsberufe auf Platz 1. Fast jeder Zweite geht am Ende einen anderen Weg.

Wodurch ist die hohe Abbruchquote zu erklären? Viele führen das auf den Mindestlohn zurück: steigende Löhne hätten „simple“ Tätigkeiten insgesamt attraktiver gemacht. Die Lohnpolitik kurbelt die Bereitschaft für Wachdienstleistungen insgesamt an und eignet sich so zur Bekämpfung von Arbeitskräftemangel. Auf der anderen Seite begünstigte dies einen Mangel an Fachkräften. Denn wenn die untere Gehaltsebene angehoben wird, zahlen sich Fortbildungen weniger aus. Eine Ausbildung zur SKSS nimmt mindestens zwei Jahre in Anspruch, bei der FKSS sind es regelmäßig drei Jahre. Wenn aber von Anfang an ein bestimmtes Lohnniveau garantiert ist, auf dem es sich halbwegs leben lässt, entscheiden sich jüngere Menschen tendenziell gegen einen Ausbildungsberuf.

Hier geht es zum Impulstext zum Mindestlohn.

Zugleich steigt Jahr für Jahr die Zulassungsquote an deutschen Hochschulen. Ausbildungsberufe büßen an Popularität ein, während neue Studiengänge „wie Pilze aus dem Boden schießen“. So gibt es allein zum Thema Sicherheitsmanagement X Studienorte mit verschiedensten Ausprägungen. Die Absolventen ergreifen jedoch regelmäßig Führungsposition oder widmen sich Compliance-Richtlinien. Das Kernanliegen einer direkten Sicherheitsdienstleistung gerät in den Hintergrund.

Sicherheitsgewerbe besonders bei Quereinsteigern beliebt

Die rechtlichen Rahmenbedingungen des § 34a GewO ermöglichen insbesondere älteren Menschen einen Seiteneinstieg in die Wachbranche. Da die Hürden verglichen mit anderen Sektoren relativ niedrig sind, ist das Sicherheitsgewerbe für einen Tapetenwechsel im Berufslebens eine beliebte Adresse. So ist jeder vierte Sicherheitsmitarbeiter innerhalb sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsmodelle bereits über 55 Jahre alt. Bei Minijobs sind es sogar 28 Prozent.
Für einen zusätzlichen Schub könnten das Vorhaben der Ampel-Koalition sorgen, die Bemessungsgrenze von 450 Euro auf 520 Euro zu erhöhen. Da bei Menschen über 55 Jahre in circa 10 Jahren mit einem Eintritt in die Rente zu rechnen ist, werden sich die Probleme in den 2030-er Jahren sogar verschärfen.
Von den aktuell 300.000 Mitarbeitern in der Sicherheitsbranche gehen in diesem Jahrzehnt etwa 65.000 Personen in den Ruhestand. Dadurch entsteht eine große Lücke. Durch Abwanderungen, Krankheitsfälle und Urlaubsvertretungen dürfte der tatsächliche Bedarf an Nachwuchs noch höher liegen. Bereits heute sind etwa 11.000 Stellen unbesetzt. Der Ausbildungsrückgang verschärft die zukünftige Lage noch.

Die Wachbranche wandelt sich in einen Arbeitgebermarkt

Um die sich abzeichnende Krise zu verhindern, muss nicht nur an der Lohnschraube gedreht werden. Die Ansteigung des Mindestlohnes ist zwar begrüßenswert. Die körperlich und psychisch anstrengende Arbeit muss gut entlohnt und Sparpolitik auf Kosten der Sicherheit beiseitegeschoben werden.  Auf der anderen Seite darf das Lohngefälle zu Fachabschlüssen nicht geebnet werden. Schlagen sich Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen nicht in einer höheren Bezahlung nieder, verstärkt dies Abwanderungseffekte.
Das Sicherheitsgewerbe wandelt sich von einem Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt. Zunehmend konkurrieren nicht Mitarbeiter untereinander, sondern die Sicherheitsfirmen um neue Fachkräfte. Damit wachsen die Erwartungen an ein attraktiveres Arbeitsumfeld. Momentan sind Arbeitszeiten an einem einzelnen Werktag auf bis zu zwölf Stunden ausgedehnt. Dabei entfällt der Großteil auf Rufbereitschaft und auf Nachtschichten. Das ist für die betroffenen langfristig ermüdend.

Abwanderung durch emotionale Bindung verhindern

Oftmals verkannt wird auch die Bedeutung der ersten Arbeitswochen. Der erste Eindruck ist richtungsweisend für die Mitarbeiterzufriedenheit. Arbeitgeber sollten für eine Integration und willkommene Atmosphäre gleich am ersten Arbeitstag sorgen. Eine Unternehmenskultur erleichtert dies. Verkörpert ein Betrieb bestimmte Werte, erleichtert dies die Einbindung in das Team und verstärkt das Zugehörigkeitsgefühl. Außerdem wird die Beziehung zum Arbeitgeber gestärkt, wenn er an die individuellen Stärken und Schwächen eines Sicherheitsmitarbeiters anknüpft. In Form von Bildungsurlaub oder der Übernahme von Fortbildungsgebühren können Arbeitskräfte zu Experten innerhalb einer Sicherheitsdienstleistung gemacht werden.

Medienoffensive nach dem Vorbild der Pflegebranche

Unter nichtakademischen Berufszweigen gehört die Wachbranche historisch betrachtet zu den gering bezahlten Berufen. Ein staatlich koordiniertes Bildungsangebot blieb lange Zeit auf der Strecke. Dadurch hat sich in der Bevölkerung insgesamt eine negative Sichtweise auf eine Karriere im Sicherheitsgewerbe verankert.
Eine Medienoffensive des Staates könnte die allgemeine Wahrnehmung wandeln. Diese wird seit mehreren Jahren bereits in der Pflegebranche durchgeführt. Über Plakatwerbung, Rundfunk und Fernsehen startete die ehemalige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey Anfang 2020 eine Informations- und Öffentlichkeitsaktion für Pflegeberufe.
Dabei handelt sich auch bei Sicherheit um ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Ein derartiger Schritt würde den Stellenwert professioneller Sicherheitsdienstleistungen mehr in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken.
Hinzu kommt, dass Mitarbeitern häufig wachfremde Aufgaben zugewiesen werden. Eine effizientere Aufgabenverteilung würde nicht nur dazu führen, dass mehr Fachkräfte für solche Tätigkeiten zur Verfügung stehen, in denen ihre Expertise wirklich gefragt ist. Wozu sollten Mitarbeiter Fortbildungen in der Sicherheit anstreben, wenn sie am Ende als „Reservekräfte“ mit reiner Servicefunktion verwendet werden. Es sollten keine Sicherheitsdienstleistungen aus vorgeschobenen Gründen verkauft werden, nur um damit Versicherungsraten gering zu halten.