
Veröffentlicht am: 24.04.2019
Raphael aus der Wiesche
Raphael aus der Wiesche ist am 18.07.1997 in Neu-Ulm geboren. 2016 hat er erfolgreich sein Abitur abgeschlossen und im selben Jahr mit dem Studium der Rechtswissenschaften an der Friedrich-Wilhelms – Universität in Bonn begonnen.
Seit 2017 lebt und studiert er in Berlin.
In seinem Studium interessiert er sich besonders für das allgemeine Sicherheits- und Ordnungsrecht.
Rosige Worte, aber schlechtes Urteil: Codes im Arbeitszeugnis
Nett klingende Worte am Ende eines Arbeitsverhältnisses, denen der Personaler aber möglicherweise eine ganz andere Bedeutung bemisst. Damit es im Vorstellungsgespräch mit dem potenziellen Arbeitgeber nicht zu einer bösen Überraschung kommt, sollten auch Wachleute den Inhalt der Beurteilung ihrer Leistungsbeurteilung kritisch lesen. Ein skeptischer Blick und im Zweifel die negative Auslegung doppeldeutiger Begriffe vermitteln nämlich womöglich ein ganz anderes Bild. Um der Bloßstellung entgegenzuwirken und einen authentischen Auftritt sicherzustellen, sollten Bewerber sich die geläufigsten Formulierungen ansehen und unklare Stellen anhand ein paar wichtiger Leitfragen auslegen.
Bedeutung des Arbeitszeugnisses
Der Arbeitnehmer hat nach der Gewerbeordnung, genauer § 109 GewO, das Recht auf das Arbeitszeugnis. Nach seinem Willen können darin nicht nur Angaben zur Art und Dauer der Beschäftigung enthalten sein, sondern auch eine Leistungsbeurteilung. Dies bezeichnet man dann in Abgrenzung zum einfachen Arbeitszeugnis als qualifiziertes Arbeitszeugnis.
Besonders für künftige Arbeitgeber ist die Leistungsbeurteilung von hoher Bedeutung. Zum einen ist es weitaus aktueller als das Abschlusszeugnis am Ende der Schullaufbahn oder Ausbildung und zum anderen auch viel praxisbezogener. Das Arbeitszeugnis ist für das Berufsleben daher von hoher Relevanz. Es liefert für Betriebe wichtige Anhaltspunkte, die für den Erfolg der Bewerbung prägend sind. Wer trotz dieser Bedeutung auf ein qualifiziertes Zeugnis verzichtet und lediglich ein einfaches Arbeitszeugnis beantragt, läuft Gefahr, den Eindruck zu erwecken, etwas zu verbergen. Daher sind Mitarbeiter am Ende eines Beschäftigungsverhältnisses grundsätzlich besser damit beraten, die Erteilung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses in Anspruch zu nehmen.
Sprache
Der Arbeitgeber darf seine Sicht bezüglich des Arbeits- und Sozialverhaltens nicht in x-beliebiger Form ausdrücken. Er muss stets „im Lichte verständigen Wohlwollens“ berichten und ist selbstverständlich an das Gebot der Wahrheit seiner Aussagen gebunden. Denn auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen weiterhin gegenseitige Rücksichtnahme- und Treuepflichten. Indem das Äußern direkter Kritik illegitim ist, sollen „Rachefeldzüge“ verhindert werden. Allerdings besteht weiterhin für den Vorgesetzten die Möglichkeit, in verdeckter Form zu kritisieren. So klingt alles in der Beurteilung zunächst einmal positiv. Doch im beruflichen Umgang haben sich bestimmte Codes herausgebildet, denen branchenübergreifend eine andere Bedeutung zugemessen wird, als ein Unwissender vorher denken mag.
Es wäre für den Verlauf eines Vorstellungsgesprächs fatal, wenn der Bewerber den Inhalt seiner eigenen Leistungsbeurteilung nicht versteht. Um Blackout-Momenten vorzubeugen und Fragen des Personalverantwortlichen souverän beantworten zu können, ist es ratsam, sich einen Überblick über die gängigsten Phrasierungen und ihre wahre Bedeutung zu verschaffen.
Schulnotensystem
Das qualifizierte Zeugnis enthält zur Leistungsbeurteilung lediglich einen schriftlichen Text. Dabei wird gerne auf geschäftsübliche Standardformulierungen zurückgegriffen, die sich in Schulzensuren von 1 (sehr gut) bis 6 (ungenügend) übersetzen lassen. Schon das Fehlen eines scheinbar unwichtigen Füllworts kann sich auf die „Note“ enorm auswirken. Dann heißt es etwa:
„Der/die Arbeitnehmer/in erfüllte die vertragsgemäßen Aufgaben…
„…stets zur vollsten Zufriedenheit/stets selbstständig mit äußerster Sorgfalt und Genauigkeit/in höchstem Maße zuverlässig/in jeder Hinsicht und allerbester Weise“ = sehr gut
„…zur vollsten/stets zur vollen Zufriedenheit/mit äußerster Sorgfalt und Genauigkeit/mit überdurchschnittlicher Arbeitsqualität und Initiative/stets zuverlässig und äußerst gewissenhaft.“ = gut
„…zur vollen Zufriedenheit/systematisch und zufriedenstellend/in jeder Hinsicht/sorgfältig und genau“ = befriedigend
„…zur Zufriedenheit/ordnungsgemäß/mit Sorgfalt und Genauigkeit/ohne Unsicherheiten bei der Ausführung“ = ausreichend
„…im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit/im Rahmen seiner Fähigkeiten/mit Fleiß und dem Willen, sie termingerecht zu beenden/in der Regel erfolgreich/nach Anleitung mit Fleiß und Ehrgeiz“ = mangelhaft
„Er/Sie hat sich bemüht…“ = ungenügend
Angaben über das Sozialverhalten
Nicht nur die Erfüllung der arbeitsvertraglich geregelten Leistungspflichten wird durch das qualifizierte Arbeitszeugnis bewertet. Es enthält darüber hinaus auch Aussagen über den Umgang mit Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen und dem eigenen Sozialverhalten. Möchte der frühere Arbeitgeber darlegen, sein Mitarbeiter sei arrogant und überheblich gewesen, wird das gerne durch Aussagen ausgedrückt wie: „Er verfügte stets über gesundes Selbstbewusstsein und Vertrauen in seine Fähigkeiten“, fehlende Manieren oder ein loses Mundwerk durch die Phrase „erfrischender Umgang mit Mitarbeitern und Vorgesetzten“. Faulheit und mangelnde Eigeninitiative werden durch Signalwörter wie „Aufgaben delegieren“ verschleiert. Arbeitete der Mitarbeiter sehr chaotisch, kann das durch “ging seiner Arbeit mit großem Elan nach“ ausgedrückt werden. Gab es in der Vergangenheit Auffälligkeiten infolge von Alkohol- oder Drogenkonsum, wird dies durch „Geselligkeit“ beschönigt.
Schlussformel
Auch der Schlusssatz muss nicht bloß dazu dienen, den Text zu beenden. Wünscht der Betrieb dem Beschäftigten für die Zukunft „Glück oder Gesundheit“, kann das so viel bedeuten wie: „den Erfolg hatte er bei uns nämlich nicht“ beziehungsweise „Vorsicht, der ist häufig krank!“ Nicht selten wird durch die Grußformel gar das Gesamtbild des Arbeitgebers gegenüber seinem scheidenden Mitarbeiter ausgedrückt. Denn die Verwendung eines solchen Schlusssatzes ist freiwillig. Es liegt in der Hand des ehemaligen Betriebs. Wenn er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, liegt es also nahe, dass sie der Abrundung oder Konkretisierung der Leistungsbeurteilung dient.
Ein gutes Zeichen ist die Formulierung: „Wir trennen uns nur schweren Herzens und wünschen weiterhin viel Erfolg“. Hierdurch wird das Bedauern über das Ausscheiden des Mitarbeiters ausgedrückt, was für eine fruchtbare Zusammenarbeit spricht. Ist stattdessen von einer „Trennung in beiderseitigem Einvernehmen“ die Rede, lässt dies stattdessen auf eine arbeitgeberseitige Kündigung schließen. Ebenso deutet das Fehlen eines kleinen Dankeschöns auf die Unzufriedenheit in Bezug auf die Leistung hin.
Tipps zur Auslegung
Da der Aussteller des Zeugnisses an das Gebot verständigen Wohlwollens gebunden ist, besteht eine Möglichkeit der Kritik nur durch die Verwendung doppeldeutiger Aussagen. Da der Arbeitgeber sich dieser Tatsache höchstwahrscheinlich bewusst ist, werden diese nicht zufällig verwendet. Im Zweifelsfall sollte der Zeugnisempfänger von der negativen Bedeutung ausgehen. Vor das Wort Bemühung ist im Regelfall vergeblich hineinzusehen. Allgemein sind Aussagen als Tadel zu verstehen, die bloß den guten Willen bescheinigen. Eine Verwendung der Passiv-Form „Mitarbeiter X wurde eingesetzt in …, wurde mit … betraut“, kann auf Passivität, Unselbstständigkeit oder Teilnahmslosigkeit des Mitarbeiters hindeuten.
Besonders kritisch sind auch Leistungsbeurteilungen, in denen die zu verrichtende Haupttätigkeit gar nicht oder nur sehr knapp beschrieben wird. Das ist beispielsweise der Fall, wenn bei einem Wachmann oder einer Wachfrau keine Angaben über das Durchsetzungsvermögen oder das Verhalten in Konfliktsituationen enthalten sind. Oder bei einer Tätigkeit mit Kundenkontakt nichts über den Umgang mit den Kunden steht. Auf der anderen Seite ist Skepsis angesagt, wenn nebensächliche oder gar selbstverständliche Dinge detailliert beschrieben werden. Zum Beispiel das gepflegte Äußere oder das pünktliche Erscheinen des Mitarbeiters. Diese zwei Strategien sind bei Arbeitgebern vor allem beliebt, weil damit nicht gegen das Gebot der Wahrheit verstoßen werden kann. Auch das Prinzip des verständigen Wohlwollens wird nicht gebrochen, denn durch Nichtssagen oder Beschreiben unwichtiger Dinge wird das berufliche Fortkommen nicht ungerechtfertigt erschwert.
Außerdem sprechen Relativierungen oder doppelte Verneinungen für eine schlechte Performance. Wird das Sozialverhalten „im Wesentlichen“ oder „im Großen und Ganzen“ als angenehm bezeichnet, weist dies auf Momente hin, in denen das nicht der Fall gewesen ist. Ungute Erfahrungen können auch durch den Gebrauch doppelter Verneinungen ausgedrückt werden („nicht unerheblich, nicht übermäßig…“). Man sollte sich bei der Auslegung daher immer das mögliche „Minus zum Plus“ vorstellen.
Unzulässige Codes
Die Doppeldeutigkeit oder das aussagekräftige Weglassen von wichtigen Aspekten der Leistungsbeurteilung finden ihre Grenze der rechtlichen Zulässigkeit dort, wo Ironie anfängt. Der Textinhalt muss nach dem Empfinden eines unbeteiligten Dritten stets den durchschnittlichen Zeugnisanforderungen entsprechen. Was als durchschnittlich gilt, bestimmt sich nach der üblichen Verkehrssitte und ist im Fall einer prozessualen Streitigkeit Auslegungssache des Arbeitsgerichts. Auf jeden Fall entsprechen ironische oder sarkastische Bemerkungen nicht den durchschnittlichen Anforderungen.
Ebenso sind Codierungen verboten, die sich rein optisch auf die Erscheinung des Arbeitszeugnisses auswirken. Zu den illegitimen Kennwörtern gehören die Verwendung einer ungewöhnlichen Papierart (bunte Farbe, Wasserzeichen), das Unterstreichen oder Einkreisen von Textstellen, bunte Textfarben oder ungewöhnliche Stempel. Eine Unterschrift darf zwar grundsätzlich krakelig erfolgen. Das Landesarbeitsgericht in Hamm stellte im Juli 2016 allerdings fest, dass eine für den Unterzeichner ungewöhnlich diagonal verlaufende Unterschrift ein verbotenes Zeichen darstellt.
Zeugnisberichtigungsanspruch
Stützt sich die Bewertung nicht auf wahre Tatsachen oder ist sie dazu geeignet, das berufliche Fortkommen des Bewerbers ungerechtfertigt zu erschweren, hat der Betroffene einen Anspruch auf Korrektur. Der Aussteller muss die geschriebenen Passagen dann in einem angemessenen Zeitraum berichtigen. Dies setzt wiederum eine frühzeitige Rügepflicht des Arbeitnehmers voraus. Ansonsten ist der Anspruch auf Zeugnisberichtigung verwirkt. Das gleiche gilt für die Verwendung verbotener Zeichen (siehe oben). Kommt der Betrieb dem Berichtigungsanspruch nicht nach, hat der Adressat bereits nach wenigen Monaten Anspruch auf Schadensersatz. Das Bundesarbeitsgericht billigte einem Kläger im Jahr 1972 bereits nach fünf Monaten eine Geldforderung zu.
Leistungsbeurteilung ist nicht alles
Ein mit Kritikpunkten versehenes Arbeitszeugnis muss nicht zwingend das Aus einer Bewerbung bedeuten. Denn durch den eigenen Auftritt besteht stets die Chance, die Leistungsbeurteilung des ehemaligen Betriebs zu relativieren. Nicht unbeachtlich ist auch die nahezu unüberbrückbare Vielfalt an „Geheimwörtern“. Es muss nicht zwingend der Fall sein, dass der Personalverantwortliche die negative Bedeutung eines Ausdrucks kennt. Ebenso haben sich zahlreiche Gerüchte ausgebildet, sodass kritische Textstellen nicht immer für bare Münze genommen werden müssen. Um Spekulationen und Missverständnissen vorzubeugen, agiert das Gegenüber mit Vorsicht und achtet im Verlauf des Vorstellungsgesprächs auch auf andere Aspekte. Überzeugt der Bewerber mit Sprache, Ausdruck und Persönlichkeit, wirkt sich dies auf die Interpretation der Leistungsbeurteilung günstig aus.