
Veröffentlicht am: 19.01.2021
Von Hans-Günter Laukat, IWiS Privat-Institut
Speed-Dating als neues Instrument für Preisverhandlungen bei der Fremdvergabe von Sicherheits-Dienstleistungen
„Speed-Dating“ ist mittlerweile ein hinreichend bekanntes Format zur Partnersuche, bei dem sich einsame Herzen in einer organisierten Veranstaltung für einen zeitlich begrenzten Zeitraum gegenübersitzen und durch relativ kurze Gesprächsrunden kennen lernen sollen – wenn nicht Corona dazwischen sitzt. Mittlerweile wird diese Form des Kennenlernens zunehmend auch zur Rekrutierung von Azubis, bei der Wohnungssuche, für wissenschaftliche Netzwerke, Start-up-Unternehmen usw. genutzt. Neu hingegen ist die Anwendung des Speed-Datings (wird vom Auftraggeber auch so genannt) bei Preisverhandlungen für die Fremdvergabe von Sicherheits-Dienstleistungen. Durch zeitlichen Druck und der Anwesenheit weiterer Bewerber sollen offensichtlich weitere preisliche Zugeständnisse seitens des potenziellen Auftragnehmers erzielt werden.
Eines wird bei der Betrachtung dieser Form der Preisgestaltung für eingekaufte Sicherheits-Dienstleistungen sofort deutlich: Es geht mehr denn je primär um den Preis als entscheidendes Vergabekriterium. Dabei wird ebenso deutlich, dass die Einkäufer sowohl in der Privatwirtschaft als auch der öffentlichen Hand offensichtlich mittels neuer Formate stetig darum bemüht sind, das in etwa gleichlautend angewandte Minimal- mit dem Maximalprinzip in Übereinstimmung zu bringen. Wem das wirksam gelingen sollte, dem gebührt ohne Frage ein renommierter Preis in Wirtschaftswissenschaften.
Unter dem Minimalprinzip versteht man einen wirtschaftlichen Grundsatz, nach dem ein Ziel mit möglichst wenigen [finanziellen] Mitteln erreicht werden soll. Das Maximalprinzip hingegen definiert als Ziel einen möglichst hohen Nutzen [zum Beispiel Top-Qualität] mit einem vorgegebenen Budget. Fazit: Beim Einkauf einer Sicherheits-Dienstleistung soll wenig Geld ausgegeben werden, er verlangt dafür aber eine durchgängig hohe Qualität der Dienstleistung mit hoch motivierten und qualifizierten Mitarbeitern. Und hierin liegt sogleich die Sollbruchstelle solch angewandter Prinzipien.
Das monatliche Einkommen der überwiegenden Anzahl der Mitarbeiter im Sicherheitsgewerbe liegt bekanntlich im Niedriglohnsektor. Ein akzeptables Auskommen kann in der Regel nur durch eine zumeist hohe Zahl an Einsatzstunden erreicht werden. Und es bedarf nicht selten einer hohen Flexibilität bezüglich Einsatzzeiten: Fällt ein Mitarbeiter kurzfristig aus, werden nicht selten bevorzugt Auszubildende kontaktiert, um die Fehlstelle auszugleichen. Das wird in Kommentaren von Auszubildenden zur Fachkraft im Bereich Sicherheit, warum sie ihre Ausbildung abbrechen, immer wieder deutlich.
Hinzu kommt, dass der Beruf eines Sicherheitsmitarbeiters ein geringes Ansehen genießt und nicht selten lediglich eine „Gelegenheitsbeschäftigung“ darstellt, bis etwas Besseres gefunden wird. Das heißt in der Praxis: Der Mitarbeiter geht zu einem anderen Dienstleister, der eine – geringfügig – höhere Stundenvergütung anbietet, wechselt unter Umständen sogar in das Unternehmen, bei dem er zuvor als Sicherheitsmitarbeiter eingesetzt war, oder macht etwas ganz anderes. Diejenigen, die lange „Stehzeiten“ bei einem Sicherheits-Dienstleister aufweisen, haben entweder den Aufstieg geschafft, zumindest in Aussicht, oder sind auch nur zu defätistisch, sich um eine andere Beschäftigung zu bemühen. Wie soll sich die Attraktivität dieser Berufsgruppe insgesamt steigern lassen, wenn der Auftragnehmer einer Sicherheits-Dienstleistung preislich so gedrückt wird, dass eine auskömmliche Bezahlung seiner Mitarbeiter nahezu aussichtslos erscheint?
In einem sicherlich gewagten Gedankensprung kann man hinter dem Speed-Dating in der Sicherheits-Dienstleistung zur Preisfindung eine Form der „modernen Versklavung“ vermuten. Während die historische Sklaverei auf einem rechtlich anerkannten Besitzverhältnis über die versklavten Menschen beruhte, ist nun von moderner Sklaverei die Rede, wenn eine [juristische] Person zum Zweck der wirtschaftlichen Ausbeutung unter der Kontrolle eines anderen steht, der Macht- und Druckmittel einsetzt, um diese Kontrolle aufrechtzuerhalten. Kann sich das Speed-Dating zu einem solchen Macht- und Druckmittel entwickeln?
In diesem Zusammenhang ist nicht zu übersehen, dass ein Macht- und Druckmittel der Auftraggeber durch die relativ hohe Anzahl an Sicherheits-Dienstleistern in Deutschland gestützt zu werden scheint. Das führt grundlegend nicht erst seit diesen Tagen zu einem reinen Verdrängungswettbewerb auf dem Markt. Derjenige Auftragnehmer, der bereit ist, dem Auftraggeber preislich am weitesten entgegenzukommen, erhält den Auftrag; Qualitätsaspekte sind bis dahin schon lange auf der Strecke geblieben, bleiben aber in der Erwartungshaltung des Auftraggebers weiterhin erhalten. Erst nach geraumer Zeit der Auftragsübernahme wird zunehmend deutlicher, dass die Erwartungshaltung des Auftraggebers bei dem vereinbarten Preisniveau nicht erfüllt werden kann. Um im Bild zu bleiben: Kommt es zu dem erwartbaren Bruch bei der Erwartungshaltung bezüglich der Qualität der Dienstleistung, wird der Auftragnehmer – wie auch immer – „bestraft“.
Erste Beispiele aus der Praxis zeigen eine kapriziöse Facette: Was zunächst als Speed-Dating seitens des Kunden beabsichtigt war, entwickelte sich tatsächlich allerdings zu einem „Slow-Dating“. Die verbliebenen Bewerber für die ausgeschriebene Sicherheits-Dienstleistung wurden für finale Preisverhandlungen vom Auftraggeber eingeladen, gemeinsam gebrieft und danach jeweils in einem Raum separiert. Der Einkäufer händigte jedem Bewerber ein Dokument mit der Überschrift „1. Runde“ aus und nannte eine Zeitspanne von 20 Minuten, um das abgegebene Preisangebot zu reduzieren und auf dem Dokument zu vermerken.
Aus den vorgegebenen 20 Minuten wurden dann 40 Minuten, bis die Dokumente eingesammelt wurden. Nach einer längeren Weile erschien derselbe Einkäufer erneut, wieder mit einem Dokument, betitelt mit „2. Runde“, mit der Aufforderung, nochmals den angebotenen Preis zu minimieren. In dieser Runde waren es 30 Minuten, bis die Dokumente mit den jeweiligen Angeboten wieder eingesammelt wurden. Die 3. Runde wurde mit der Bemerkung des Einkäufers eingeläutet, dass die Preise immer noch viel zu hoch seien. Forsch forderte er sogleich eine Reduzierung um einen sechsstelligen Betrag – äußerst ambitioniert! Der Hinweis eines Bewerbers an dieser Stelle, dass man dieser Aufforderung nicht mehr Folge leisten könne und sich aus diesem recht eigenwilligen Wettbewerb zurückziehen werde, erzeugte zunächst großes Erstaunen beim Auftraggeber.
Dennoch wurde das bekannte Dokument ausgehändigt und nach einer Stunde wieder abgeholt. Erst nach einer weiteren geschlagenen Stunde wurde dann das Ergebnis des Speed-Datings allen Bewerbern bekanntgegeben.
Wenn das Speed-Dating einsamer Herzen in gleicher Weise gestaltet werden würde, wie zuvor beschrieben, verbunden mit ambitionierten voraussetzenden Forderungen an die potenzielle Partnerin oder den potenziellen Partner, wird die Partnervermittlung auf entsprechenden Online-Portalen vermutlich deutlich attraktiver – dort kann man sich bekanntlich binnen 11 Minuten verlieben. Das Fazit beim Speed-Dating zu Preisverhandlungen für Sicherheits-Dienstleistungen auf Grundlage des geschilderten Ablaufs: extrem langweilig, zeitverschwendend, nervend und frustrierend.