Veröffentlicht am: 16.07.2019

Interview: Marcus Heide
Foto: Michael Mewes

Michael Mewes
Michael Mewes ist Vorstand der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste e. V. (BDGW) mit umfassenden Marktkenntnissen aus langjähriger Tätigkeit in führenden Geld- und Wertdienstleistungsunternehmen. Darüber hinaus ist er seit 2004 Vorstand der Cash Logistik Security AG (www.cls.ag), die Lösungen für die komplexen Bargeldprozesse bei der Ver- und Entsorgung von Kreditinstituten sowie Handelskunden anbietet

„Bargeld wird es immer geben – und die entsprechenden Jobs auch“

Marcus Heide im Interview mit
Interviewpartner Michael Mewes · Vorstand der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste e. V. (BDGW) und seit 2004 Vorstand der Cash Logistik Security AG (www.cls.ag

Michael Mewes über die Zukunft des Geld- und Werttransports und seiner Arbeitsplätze

Marktplatz Sicherheit: Herr Mewes, im Ausland ist Bargeld vielerorts inzwischen die Ausnahme. Anders in Deutschland. Aber auch hier lösen die Zahlungen per Kreditkarte oder Smartphone die Barzahlungen zunehmend ab. Müssen sich die Beschäftigten von Geldtransport-Unternehmen und in Geldbearbeitungszentren nicht langsam fragen: Wie lange gibt‘s unsere Jobs noch?

Michael Mewes: Da kann ich Sie beruhigen: Die Jobs sind auf lange Zeit sicher. Bargeld wird immer transportiert und bearbeitet werden müssen, denn Bargeld wird es immer geben. Die Frage ist: Wie viel?

Experten prophezeien die bargeldlose Gesellschaft.

Die haben wir doch praktisch schon. 2017 gab es in Deutschland laut Bundesbank 22 Milliarden unbare Transaktionen im Wert von 55 Billionen Euro: Gehälter, Mieten, Strom, Möbel usw. Das ändert aber nichts daran, dass Bargeld bei unseren täglichen Einkäufen hier zu Lande nach wie vor hoch im Kurs steht. Das lässt sich ganz nüchtern an Zahlen festmachen: 2007 hat der Handel einen Umsatz von 427,6 Milliarden Euro erwirtschaftet, davon wurden 61,4 Prozent bar bezahlt. 2018 betrug der Umsatz 525 Milliarden Euro, der zu 48,3 Prozent bar bezahlt wurde. Das heißt, die Barzahlungen sind in elf Jahren absolut lediglich um 2,1 Prozent zurückgegangen. Wenn das keine Arbeitsplatzgarantie für die nächsten 500 Jahre ist…

Weder Gesellschaft noch Technik entwickeln sich linear. Könnte es nicht sein, dass der Rückgang der Barzahlungen an Fahrt aufnimmt?

Auch dagegen kann ich mit Zahlen der Bundesbank argumentieren: Deutsche Haushalte mit einem monatlichen Einkommen von unter 1.500 Euro zahlen zu 75 Prozent bar, bei denen mit unter 3.000 Euro sind es immer noch 55 Prozent, und nur die Haushalte mit höherem Monatseinkommen zahlen nur noch zu 41 Prozent bar. 82 Prozent der deutschen Haushalte stehen nicht mehr als 3.200 Euro im Monat zur Verfügung. So kommen wir zur Begründung, warum im Mittelwert zu etwa 48 Prozent bar bezahlt wird. Wobei sich diese Zahlen auf die Umsätze beziehen, bezogen auf die Anzahl der Einkäufe werden immer noch über 70 Prozent bar bezahlt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat gar keine Kreditkarte, auf der übrigens in den meisten Fällen das Mobile Payment basiert. Kurz: Die Mehrheit der Deutschen kann sich den unbaren Zahlungsverkehr gar nicht erlauben.

Ist das nicht eine spezifisch deutsche Situation? Schließlich sind hier zu Lande die Gebühren für unbare Zahlungen im Vergleich zu anderen Ländern hoch.

Das kann ich nicht bestätigen. Die Zahlung mit Kreditkarte ist bei uns in der Regel mit Bankdienstleistungen verknüpft. Und Sie wissen ja: Die Bank gewinnt immer. Sprich: In keinem Land der Welt sind Bankdienstleistungen kostenlos. Auch nicht in Asien und Afrika – auf diese Regionen wollen Sie bestimmt hinaus. Hier haben die Kreditkartenkonzerne zum Teil einfach tolle Marketingarbeit geleistet. Manche Regierung hat die unbare Zahlung auch schlichtweg rigoros durchgesetzt beziehungsweise sich dem Treiben der Kreditinstitute und Kreditkartenkonzerne nicht entgegengestellt. Schauen Sie nach Schweden: Hier wurde die Bargeld-Infrastruktur einfach abgeschafft, beispielsweise Geldautomaten von heute auf morgen abgebaut. 2012 hat die schwedische Zentralbank alte Banknoten mit einer Umtauschfrist von lediglich zehn Monaten aus dem Verkehr gezogen. Wer nicht rechtzeitig umgetauscht hat, hat Geld verloren – und das waren nicht wenige. Das Vertrauen ins Bargeld und das Bankenwesen wurde nachhaltig erschüttert. Heute zahlen die Menschen unbar – und jede Buchung lassen sich die Banken bezahlen.

Ist Deutschland also – noch – ein Bargeld-Paradies?

Zumindest stehen dem deutschen Verbraucher zahlreiche Alternativen zur Kreditkarte zur Verfügung, auch neue Verfahren. Zu nennen wären beispielsweise Cashback – also die Möglichkeit des Bargeldbezugs im Handel – und Cash-in-Shop, bei dem man sogar Bankgeschäfte (Ein- und Auszahlung von Bargeld) am Point of Sale abwickeln kann. Dafür gibt es schon mehr als 11.000 Akzeptanzstellen – das größte virtuelle Banknetz in Deutschland. Es herrscht also große Innovation rund ums Bargeld. Trotzdem will ich nicht leugnen, dass die Zahl der baren Transaktionen zurückgeht – aber eben höchst langsam. Die Bedeutung von Mobile Payment und Kreditkarten wird jedenfalls überschätzt.


Das heißt aber doch auch, dass mit dem – langsamen – Rückzug des Bargelds auch das Geschäft der Geld- und Wertdienstleister schrumpft.

Sie irren sich bei Ursache und Wirkung. Für den Logistikumsatz des Geldtransporteurs spielt es keine Rolle, ob er beim Stopp am Supermarkt nun Bargeld im Wert von 5.000 oder 20.000 Euro abholt. Die Situation ist allerdings heute so, dass Einzelhandel, Gastronomie und Tankstellen Bargeld lieber seltener abholen lassen, weil sie die Negativzinsen scheuen, wenn ihnen die Beträge gutgeschrieben werden.

Wie kommt es, dass trotz aller Ihrer nachvollziehbaren Argumente die Bargeldindustrie in Deutschland geschrumpft ist?

Dazu muss man die Bargeldkette verstehen: Aufgabe der Geldtransporteure war es früher, Bargeld von der Bank- oder der Bundesbank (früher: Landeszentralbank)-Filiale zum örtlichen Kunden zu fahren und ihn mit Geld zu versorgen – und umgekehrt. Zu den Zwischenschritten gehört die Bargeldbearbeitung, also zählen und neu bündeln. Daraus hat sich heute eine komplexe Logistik- und Aufgabenstruktur entwickelt, weshalb aus den damaligen Geldtransporteuren heute Wertdienstleister geworden sind. Vor einigen Jahren begann die Konsolidierung der Banken. 2007 gab es 2.277 Kreditinstitute, heute sind es 20 Prozent weniger. Die Zahl der Bankstellen ist um 25 Prozent gesunken. Die Bundesbank hat 25 Prozent ihrer Stellen abgebaut. Entsprechend ist die Zahl der Wertlogistik-Unternehmen im gleichen Zeitraum gesunken, nämlich um 22 Prozent. Es gibt rund 400.000 Points of Sale in Deutschland, davon werden etwa 90.000 professionell von einem Wertdienstleister bedient. Alle anderen geben ihr Bargeld heute noch selbst am Bankschalter oder Bankautomaten ab. Durch den Rückzug der Kreditinstitute werden die bald keine Chance mehr haben, ihr Bargeld „loszuwerden“. Es ist natürlich nicht wirtschaftlich, mit dem Panzerwagen am Kiosk vorzufahren. Dazu brauchen wir neue Lösungen und Technologien. Der Markt ist also nach wie vor hoch attraktiv; das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sich weltweit agierende Unternehmen der Branche wie Loomis hier einkaufen. Dass zunehmend eine bundesweite Abdeckung der Logistikdienste gefordert ist, spielt den großen Marktteilnehmern in die Hände. Inzwischen teilen sich drei Unternehmen – Loomis, Prosegur und Ziemann – rund 70 Prozent des Marktes. Aber selbstverständlich spielen die kleinen und mittelgroßen Unternehmen ebenfalls unverändert in den regionalen Märkten und der Entwicklung neuer Technologien eine bedeutende Rolle.

Was macht den Beruf des Geldtransporteurs attraktiv?

Man trägt Verantwortung und ist viel mit anderen Menschen zusammen. In der Regel herrschen gute Arbeitsbedingungen: Praktisch keine Nachtschichten, selten Einsatz am Wochenende. Und die Bezahlung kann sich auch sehen lassen: Beispielsweise sind über 17 Euro Stundenlohn in Nordrhein-Westfalen dafür, dass es kein Lehrberuf ist, nicht schlecht. Maler und Lackierer verdienen auch nicht viel mehr. Die Anforderungen sind nicht hoch: Man sollte einen Beruf erlernt haben sowie über ein einwandfreies Führungszeugnis und Schufa ohne Einträge verfügen. Das IHK-Unterrichtungsverfahren und die Sachkundeprüfung sind natürlich ebenfalls erforderlich.

Aber der Job ist nicht ungefährlich. Immerhin hat man viel Geld im Rücken, auf das es jede Menge Bösewichte abgesehen haben…

Im vergangenen Jahr gab es in Europa rund 300 Überfälle auf Geldtransporter, davon 181 in England. In Deutschland waren es gerade mal sechs – angesichts von knapp zwölf Millionen Stopps keine schlechte Rate, wie ich finde. Wir können hier stolz darauf sein, welch tolles Ergebnis wir durch umfangreiche Präventionskonzepte, die gemeinsam mit den gesetzlichen Versicherungsträgern entwickelt wurden, erreicht haben. Vieles ist auch der Technik zu verdanken: Im Einsatz sind elektronische Transportschutzgeräte, Drei-Kammer-System, GPS-Überwachung, Zwangsverriegelung, Tintentechnologie und Dienstwaffe. Und natürlich die intensiven Arbeitsschutz-Trainings und Schulungen nicht zu vergessen.

Wir haben noch gar nicht über die BDGW gesprochen, die derzeit 32 Mitglieder zählt, also etwa die Hälfte der noch bestehenden Geldlogistiker. Was steht auf Ihrer Agenda?

Unser Engagement ist vielfältig. Natürlich beschäftigen wir uns mit der Tarifpolitik sowie mit Gesetzgebung und Normen auf deutscher und europäischer Ebene. Wir bringen beispielsweise unsere Expertise ein beim angekündigten Sicherheits-Dienstleistungsgesetz. Bei der Entwicklung der DIN 77210 haben wir maßgeblich an der eigenen Norm für den Geld- und Werttransport mitgearbeitet. Wichtig ist uns dabei vor allem, dass diese Norm nicht nur die Wertlogistiker in die Pflicht nimmt, sondern auch deren Kunden. Es kann keine normgerechte Leistung geben, wenn der Kunde nicht bereit ist, seinen Teil beizutragen, indem er beispielsweise an der Sicherung von Anfahrts- oder Übergabestellen mitwirkt.


Das sieht ja tatsächlich so aus, als ob Sie damit rechnen, dass es die Bargeldlogistik noch eine Weile geben wird.

Darauf können Sie wetten.