Veröffentlicht am: 20.11.2019
Interview: Marcus Heide
Foto: Torsten Lehning
Torsten Lehning
Torsten Lehning ist Geschäftsführer der ToSa Security & Service GmbH & Co. KG.
„Das BAFA ist mit dem Bewacherregister überfordert“
Marcus Heide im Interview mit
Torsten Lehning · ToSa Security & Service GmbH & Co. KG
Sicherheitsunternehmer Thorsten Lehning über den ganz normalen Wahnsinn einer gesetzlich vorgeschriebenen Online-Plattform.
Der Staat verpflichtet eine ganze Branche zu einer schwierigen Entscheidung: große Verluste mit Insolvenzrisiko in Kauf zu nehmen oder illegal zu wirtschaften. Die Branche: das Sicherheitsgewerbe. Der Auslöser: das Bewacherregister. Die verantwortliche Behörde: das zum Bundeswirtschaftsministerium gehörende Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das dieses Online-Register entwickelt hat und betreibt.
Die dahintersteckende Idee verdient eigentlich Beifall: Vor drei Jahren hat der Gesetzgeber die Regeln für das Bewachungsgewerbe verschärft, nachdem es zu Übergriffen von Sicherheitspersonal in Flüchtlingsunterkünften und bei der Sicherung von Großveranstaltungen gekommen war. Verschärfung heißt: gestiegene Anforderungen an Qualifikation und Zuverlässigkeit von Unternehmern und Sicherheitskräften in „sensiblen Bereichen“. Bisher wurden die entsprechenden Daten bei den Behörden lokal gespeichert. Im Bewacherregister sollen sie nun an zentraler Stelle dokumentiert werden, um bei Kontrollen von Sicherheitspersonal vor Ort bundesweit elektronisch abgerufen werden zu können. Die Dateneingabe müssen die Sicherheitsunternehmen selbst vornehmen.
Nachdem das BAFA den Beginn des Bewachungsregisters zweimal verschieben musste, weil die von ihm bereitgestellte Software erhebliche Mängel aufwies, fiel nun zum 1. Juni der endgültige Startschuss – und das, obwohl die Software immer noch nicht funktioniert.
Marktplatz Sicherheit: Herr Lehning, Sie haben sich in den vergangenen Monaten als Inhaber eines Unternehmens für Sicherheits-Dienstleistungen intensiv mit dem Bewacherregister befasst. Lassen Sie uns doch mal vor unserem inneren Auge die mutmaßliche Verfasstheit der zuständigen BAFA-Mitarbeiter vorüberziehen.
Torsten Lehning: Was genau meinen Sie damit?
Stellen wir uns doch mal vor, wie der Tagesablauf eines solchen BAFA-Beamten aussieht. Er kommt morgens um 8.30 Uhr ins Büro und steuert zielgerichtet die Kaffeemaschine an. Während er Milch und Zucker einrührt, hält er ein kleines Schwätzchen mit den Kollegen. Dann fährt er seinen Computer nebst E-Mail-Programm hoch, wird kurz stutzig und raunt genervt: ‚Schon wieder 137 Beschwerden und Anfragen zum Bewacherregister.‘ Er drückt auf die Löschen-Taste und widmet sich erst einmal der Pflege seines Gummibaums. Schließlich kommt eine Kollegin: ‚Das Bewacherregister ist seit Juni Pflicht. Wir haben November, und es läuft immer noch nicht. Kannst Du den Programmierern nicht ein bisschen Dampf machen…“ Während der BAFA-Mann sein Frühstücksbrot aus dem Beutel wickelt, schaut er kurz hoch, zuckt die Achseln und grummelt: ‚Wen interessiert schon das Sicherheitsgewerbe?‘ Zugegeben, klingt sehr klischeehaft. Hätten Sie angesichts dessen, was da in Sachen Bewacherregister seit Monaten abläuft, ein anderes, glaubhafteres Szenario in petto?
Das ist mir zu polemisch. Die Fakten genügen ja vollkommen, um an der Kompetenz des BAFAs zu zweifeln.
Sie meinen, weil das Register in weiten Teilen bis heute nicht funktioniert…
… aber das entsprechende Gesetz verpflichtend in Kraft ist. Maximal 50 bis 60 Prozent der Mitarbeiter des deutschen Bewachungsgewerbes sind registriert und freigegeben. Das heißt im Umkehrschluss: Die übrigen 40 bis 50 Prozent sind es nicht – und dürften damit eigentlich gar nicht eingesetzt werden. Sie arbeiten natürlich trotzdem. Das BAFA hat also einen großen Teil einer ganzen Branche in die Illegalität verdammt. Wobei das aber nicht die Ersterfassten betrifft, sofern das Unternehmen für diese eine Wächtermeldung hat.
Wenn etwas so schiefläuft und obendrein wirtschaftlich katastrophale Folgen hat, muss man doch annehmen, dass die Behörde zumindest hinter vorgehaltener Hand Besserung gelobt und die Fristen verlängert.
Sollte man annehmen, da haben Sie Recht. Die Frist zur Ersterfassung der Mitarbeiter betrug für die Firmen ursprünglich sechs Monate nach Fertigstellung des Registers. Diese Fertigstellung hat das BAFA bekanntlich nicht hinbekommen und die Einführung zweimal verschoben. Doch statt auch die sechsmonatige Frist entsprechend zu verschieben, hat es diese für die Firmen auf vier Wochen verkürzt. Das BAFA stellt also eine Plattform online, die nicht funktioniert – und aus dieser Tatsache zieht es die Konsequenz, die Möglichkeit zur korrekten Dateneingabe massiv zu erschweren. Übrigens auch durch eine zweite Maßnahme: Die manuelle Anmeldung von Mitarbeitern, mit der man sich wenigstens umständlich hätte behelfen können, wurde gleichzeitig ausgesetzt.
Was wäre die Alternative gewesen?
Mal abgesehen von der Zurverfügungstellung einer funktionierenden Software? Ganz einfach: Das Wirtschaftsministerium hätte den Gesetzgeber ersuchen müssen, den Vollzug der Gewerbeordnung in Sachen Bewacherregister auszusetzen. Dass das nicht geschehen ist, wurde mit „zu hohem politischen Aufwand“ begründet. Übersetzt: Man wollte sich vor der Opposition keine Blöße geben. Für das Ego der Politiker muss nun unsere Branche geradestehen. Wir sind ja nur das Sicherheitsgewerbe. Hilfreich wäre auch die Fortführung der bisherigen Wächtermeldung bis zur Funktionsreife gewesen.
Können Sie konkrete Beispiele für Fehler in der Software nennen?
Wo soll ich da anfangen? Das jüngste Beispiel ist die so genannte csv-Datei. Dabei handelt es sich um eine Tabelle oder Datenbank, die ihre Inhalte als Text darstellt und diese Inhalte durch Zeichen, üblicherweise Komma oder Semikolon, trennt. Das kennt jeder aus den Outlook-Kontakten. Mit Hilfe einer solchen allgemein gebräuchlichen csv-Datei sollten die Mitarbeiterdaten ins Register übertragen werden. Eigentlich eine praktische Angelegenheit – wenn es denn funktionieren würde. Tut es aber bis heute nicht.
Ungläubiges Kopfschütteln lösen auch die Schauergeschichten von der dreizeiligen Nummer aus dem Personalausweis aus…
Kurioserweise geht es hier vor allem um die Leerstellen. Wessen Nummer keine Leerstelle enthält, dessen Eingaben weist das System einfach wegen „unvollständiger Angaben“ zurück. Das ist vor allem bei solchen Leuten der Fall, die mehrere Vornamen haben – wie ich beispielsweise: Die Personalausweisnummer von „Thorsten Reinhard Helmut Eckert Lehning“ akzeptiert das System einfach nicht. Ich bin sogar persönlich zu den für mich zuständigen Behörden gegangen und habe meinen Personalausweis vorlegt – aber weder Gewerbe- noch Ordnungsamt haben es geschafft, meinen Datensatz ins Bewachungsregister einzugeben. Der Programmierfehler ist bis heute nicht behoben. Und noch eine Sache: Wenn Sie sich nur die Rechtschreibung im Bewacherregister ansehen, dann wissen Sie, wes Geistes Kinder dafür verantwortlich sind. Es ist einfach nicht zu fassen, welches Bild Staat und Verwaltung hier von sich abgeben.
Was könnte die Ursache für dieses Desaster sein?
Ich persönlich vermute, dass das BAFA mit dem Projekt schlichtweg überfordert ist. Man wusste nicht, worauf man sich einließ. Das kann man auch daran sehen, dass die Kapazitäten der lokalen Behörden nicht im Geringsten berücksichtigt worden sind. Die haben einfach nicht genug Leute, um die Freigaben in angemessener Zeit vorzunehmen. Das ist dem BAFA aber egal.
Wie wird es nun weitergehen?
Eine sehr gute Frage. BAFA und Bundeswirtschaftsministerium werten das Bewachungsregister als „überragenden Erfolg“. Daraus lässt sich schon schließen, mit welcher Ernsthaftigkeit die Fehlerbehebung und Kapazitätenplanung vorangetrieben werden. Besonders spannend wird Ihre Frage mit Blick auf das kommende Sicherheitsdienstleistungsgesetz, das unsere Branche vom Bundeswirtschafts- ins Bundesinnenministerium überführen soll. Letzteres hat angekündigt, das jetzige Bewachungsregister nur dann zu übernehmen, wenn’s funktioniert. Das tut es aber nachweislich nicht. Was folgt daraus?
Sie werden doch nicht ernsthaft behaupten, dass der Branche ein neues Bewachungsregister drohen könnte…?
Aber sicher doch! Dann wäre die bisherige Arbeit vollkommen umsonst gewesen, und alles geht von vorne los. Mein Tipp zur Wahrscheinlichkeit, dass es so kommt: 50:50!
Was sagt das BAFA zu alledem?
Früher hat man unsere Fragen und Kritik zum Bewachungsregister immerhin abgewimmelt. Inzwischen antwortet das BAFA erst gar nicht mehr auf E-Mails. Die telefonische Erreichbarkeit ist, wie in der Vergangenheit, bis heute weder für die Unternehmen noch für die kommunalen Behörden, gegeben.