Veröffentlicht am: 15.02.2023

Alexander Krause (61) ist Deputy Security Manager für Nord- und Osteuropa und den Mittleren Osten für Siemens Gamesa Renewable Energy und Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Betriebsschutz, insbesondere Personen- und Objektschutz.

„Ein Fachausschuss macht noch keine Innovation“

Warum Alexander Krause prophezeit, dass das träge Sicherheitsgewerbe bald von Branchenfremden getrieben wird

Marktplatz Sicherheit: Herr Krause, Sie begleiten das Sicherheitsgewerbe schon seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Funktionen sehr kritisch und teilen mit mir die Ansicht, dass die Branche das Marketing ganz gewiss nicht erfunden hat und auch sonst wenig innovativ ist. Müsste Ihr Herz nicht höherschlagen, seit der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) einen Fachausschuss für Drohnen ins Leben gerufen hat? Dienstleistung und moderne Technik – darauf haben wir doch immer gewartet.

Alexander Krause: Die ersten auch für Privatnutzer käuflichen Drohnen gibt es seit 2012. Schnell ist klar gewesen, dass sich diese Vorrichtungen bestens auch für das Geschäftsfeld Sicherheits-Dienstleistung eignen würden. Nach also über zehn Jahren gibt es nun im BDSW einen Fachausschuss – wohlgemerkt, keine umfassenden Projekte, sondern einen Fachausschuss. Da kann es durchaus weitere zehn Jahre dauern, bis der Verband die erste Drohne steigen lässt.

 

Also nix mit Innovation?
Ich bin ja nicht der erste, der konstatiert, dass sich das Sicherheitsgewerbe seit 1950 praktisch nicht verändert hat. Am Zaun entlang patrouillieren, Konzertbesuchern in die Taschen schauen, am Flughafen Gepäck durchleuchten. Mehr ist es im Grunde bis heute nicht. Dass die manuelle der elektronischen Stechuhr und die Wachbuch-Kladde dem digitalen Berichtswesen gewichen sind, gilt in dieser Branche als „Digitalisierung“ – mit dem iPhone S6 und Windows 7. Welcome to the future.

 

Wie erklären Sie sich diese Innovationsverweigerung einer ganzen Branche?
Seit den 1990er Jahren verzeichnet das Sicherheitsgewerbe ein praktisch kontinuierliches Wachstum. Die Firmenchefs sehen einfach keine Notwendigkeit für Innovation. Das ist bis zu einem gewissen Grad sogar nachvollziehbar. Never change a running system. Aber natürlich wird es nicht ewig so weitergehen. Dann werden die Gesichter lang und länger werden. Aber glauben Sie bloß nicht, dass irgendjemand Selbstkritik üben wird. Das Gewerbe versteht ja bis heute nicht, worüber wir zwei uns gerade unterhalten.

 

Sollten wir dafür nicht vor allem die Kunden verantwortlich machen? Die scheinen ja genauso träge und anspruchslos zu sein wie die Dienstleister, denn sie fordern offensichtlich keine Innovation.
Es stimmt nicht, dass sie nicht fordern. Aber sie haben keine Alternativen. Mittelständischen Kunden oder der öffentlichen Hand fehlt die Sicherheitskompetenz, und sie wissen oftmals gar nicht, dass Sicherheits-Dienstleistung theoretisch auch anders erbracht werden und zum Teil durch technische Lösungen ersetzt werden könnte. Und große Unternehmen mit eigenen Sicherheitsabteilungen haben schlichtweg keine Auswahlmöglichkeiten, da kein Dienstleister – neben dem Preis – einen Wettbewerbsvorteil durch Innovation für notwendig erachtet. Aber es gibt Hoffnung: Kurz vor Ausbruch der Pandemie fand der Sicherheitschef eines deutschen Logistikkonzerns bei einem Vortrag vor Branchenvertretern deutliche Worte: Da die Dienstleister keine Anzeichen zeigten, sich weiterzuentwickeln, würde sein Unternehmen sie bald komplett durch Technik substituieren. Dann kam Corona, sodass die Entwicklung sicherlich pausieren musste. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis es so weit kommt. Und wenn einer anfängt, machen andere mit.

 

Konzerne mit weitsichtigen Sicherheitschefs sind aber nicht die Hauptumsatzbringer, sondern das sind mittelständische Firmen, Veranstalter, Kommunen. Die werden weiterhin keine Ideen fordern, sondern sich am Preis orientieren für eine Dienstleistung, die sie nur zu Alibizwecken und aus Haftungsgründen nachfragen.
Das sehe ich jetzt nicht so polemisch wie Sie. Aber der Preis ist natürlich trotzdem ein wichtiges Argument, das Handlungsdruck auslösen wird – aber eben anders als bisher. Denn den Wettbewerb werden Anbieter verschärfen, die überhaupt nicht aus der Sicherheitsbranche kommen. Auf der jüngsten „Security“ in Essen habe ich beispielsweise mit einer Firma gesprochen, die ein System für die Infrarot-Absicherung von Räumen nach oben im Programm hat. Eigentlich setzen sie ihre Technik in der Fahrzeugentwicklung für autonomes Fahren ein. Die Sicherheitsanwendung ist ein reines Nebenprodukt, aber hocheffizient und kostensparend. Eine solche Entwicklung können wir ja schon seit ein paar Jahren beobachten, was beispielsweise Videoüberwachung oder Schließtechnik angeht. Da gibt es inzwischen ausgereifte, leistungsfähige Produkte zum Spottpreis, Stichworte: Spexor (Bosch), Blink (Amazon) und Nuki (Partner unter anderem von Google und Apple). Keine Ahnung, warum unsere Sicherheits-Dienstleister so etwas komplett ignorieren.

 

Da muss ich dann aber doch wieder auf die Drohnenthematik zurückkommen. Da gibt es ja durchaus Kooperationen.
Natürlich gibt es die, aber wie stellen die sich praktisch dar? Ein Sicherheits-Dienstleister und ein Drohnenanbieter vereinbaren die Zusammenarbeit. Und dann erwartet der eine vom anderen, dass er ihm Kunden bringt. Durch Warten ist aber noch nie jemand weitergekommen. Öffentlichkeitswirksame Pilotprojekte, auf eigene Kosten Personal durch Technik substituieren, Alleinstellungsmerkmale und sich daraus ergebende Pluspunkte für die Kunden präsentieren – Pustekuchen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis Anbieter aus ganz anderen Branchen bestimmen werden, wo es in der Sicherheit lang geht. Und für das Sicherheitsgewerbe, zumindest in so manchem attraktiven Geschäftsfeld, wird es heißen: Wir müssen leider draußen bleiben…

 

Vielleicht hemmt auch der Personalmangel so manch zartes Innovationspflänzchen?
Hören Sie doch auf! Die Branche jammert über fehlende Fachkräfte, tut aber nichts, um den Job attraktiv zu machen. Manch einer hält es für revolutionär, im Büro einen Obstkorb aufzustellen. Ich weiß wirklich nicht, in welcher Welt die Verantwortungsträger leben. Das gilt zwar nicht nur fürs Sicherheitsgewerbe – aber das ist doch weitaus inspirationsresistenter als die meisten anderen.