Veröffentlicht am: 18.07.2018
Interview: Marcus Heide
Foto: Marcel Stephan
Marcel Stephan
Marcel Stephan ist Master of Arts für Sicherheitsmanagement und arbeitet seit 2006 im Bewachungsgewerbe, unter anderem als Einsatzleiter, Planer und Dozent. Seit 2015 ist er Geschäftsführer der kosima UG in Erftstadt. Das Unternehmen ist Ansprechpartner für Sicherheitskonzepte und Sicherheitsberatung, ein Schwerpunkt ist Event Security.
„Ein Sicherheitskonzept darf jeder schreiben“
Marcus Heide im Interview mit
Marcel Stephan · Geschäftsführer der kosima UG in Erftstadt
Marktplatz Sicherheit: Herr Stephan, das Abschneiden der deutschen WM-Mannschaft hat zwar die Zahl der Public-Viewing-Events massiv verringert. Dennoch locken die hochsommerlichen Temperaturen Menschenmassen zu Open-Air-Konzerten, Bürger-, Wein, Bier- und Street-Food-Festen oder auch politischen Demos. Das Geschäft mit dem Veranstaltungsschutz und damit für Sie als Lösungsanbieter müsste also brummen.
Marcel Stephan: So überschwänglich würde ich es nicht formulieren. Auch bei Events gilt das Thema Sicherheit als notwendiges Übel, dem die Veranstalter mit möglichst geringen Kosten beikommen möchten. Gäbe es keine gesetzlichen Vorgaben, würde vermutlich noch weniger auf die Sicherheit geachtet. In § 43 Abs. 2 MVStättVO heißt es: „Für Versammlungsstätten mit mehr als 5.000 Besucherplätzen hat der Betreiber (…) ein Sicherheitskonzept aufzustellen.“ Aber auch das kratzt nur an der Oberfläche, denn es gilt verbindlich nur für „Versammlungsstätten“ und damit für den Betreiber einer solchen und eben nicht grundsätzlich für „Veranstaltungen“ und damit auch nicht für deren Veranstalter. Die Zahl wiederum bezieht sich auf „Besucherplätze“ – ob sie besetzt sind oder nicht – und nicht auf „Besucher“. Kleine, aber feine Unterschiede.
Demnach scheren sich also die wenigsten um die Sicherheit für ein Event? Dabei sind doch eigentlich immer viele Sicherheitsleute im Einsatz.
Hier müssen Sie zwischen Ordnungs- und Sicherheitsdienst unterscheiden. Ersterer benötigt keine fachliche Qualifikation – oder zumindest steht nirgends geschrieben, dass er eine braucht. Von Zweiterem ist immerhin die IHK-Unterrichtung nach § 34a GewO zu erwarten. Aber Sie haben mit Ihrer Beobachtung natürlich recht. Nach dem Unglück während der „Love Parade“ in Duisburg 2010, bei dem 21 Menschen starben und weit über 500 verletzt wurden, machen sich Veranstalter mehr Gedanken über die Sicherheit. Und die terroristischen Anschläge in Nizza, Paris und auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin haben diese Entwicklung verstärkt.
Welche Gefahren gilt es grundsätzlich zu berücksichtigen?
Jede Menge. Es kann zu Crowd Turbulence, im Volksmund irrtümlich als Massenpanik bezeichnet, kommen oder ein Feuer ausbrechen. Aggression und Gewalt verderben nicht nur die Laune, sondern können auch zu Körperverletzung führen, vor allem wenn Stich- und Schusswaffen im Spiel sind. Auch das Wetter kann ein (Un-)Sicherheitsfaktor sein, etwa wenn es zu Starkregen kommt oder ein Sturm aufzieht. Und schließlich müssen wir heute auch auf terroristische Anschläge vorbereitet sein.
Welche gesetzlichen Bestimmungen gibt es?
Die Pflichten verteilen sich über eine Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen und Normen. Dazu gehören beispielsweise die Unfallverhütungsvorschriften, die Versammlungsstättenverordnung oder die Sonderbauverordnung hier in Nordrhein-Westfalen. Aber auch die kratzen – für sich genommen – nur an der Oberfläche. Letztlich kann man von einem Sicherheitslaien gar nicht erwarten, dass er alle Vorschriften kennt. Deshalb sollte er sich kompetent beraten lassen.
Wer ist für die Veranstaltungssicherheit verantwortlich?
Zunächst einmal der Veranstalter im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflichten. Außerdem der Betreiber der Versammlungsstätte. Er muss ein Sicherheitskonzept erstellen, wenn es die Art der Veranstaltung erfordert – was wenig konkret formuliert ist. Dieses Konzept ist mit den Behörden und Rettungskräften „im Einvernehmen“ (!) aufzustellen. Letztlich trägt auch die Genehmigungsbehörde eine bestimmte Verantwortung. Grundsätzlich sind also mehrere Beteiligte verantwortlich. Wenn der Veranstalter es versäumt, sich hinsichtlich der Sicherheit mit den anderen Verantwortlichen abzustimmen und es kommt deshalb zum Schaden, muss der Veranstalter damit rechnen, zur Haftung herangezogen zu werden.
Wer darf so ein Sicherheitskonzept schreiben?
Sie werden lachen: jeder!
Wenn sich ein Veranstalter um ein qualifiziertes Sicherheitskonzept kümmert, steckt dahinter also vermutlich mehr Furcht vor dem Haftungsrisiko als Sorge um die Besucher?
Ich kann nicht in die Köpfe der Veranstalter schauen. Was ich freilich beobachte, ist, dass die wenigsten aus freien Stücken zu uns kommen, sondern oft der nachdrücklichen Aufforderung von Polizei, Feuerwehr oder der Genehmigungsbehörde folgen. Außerdem kommen die meisten reichlich spät und mit wenig Sicherheitswissen. Aber das muss nicht überraschen, denn sie sind ja keine Experten.
Viel kosten darf Ihre Beratung aber sicherlich nicht?
Es geht nicht immer nur ums Geld. Für manche Kommune ist eine Veranstaltung wichtig fürs Image oder für die örtliche Tourismuswirtschaft. Aber gerade kleinere Veranstalter wägen die Kosten natürlich genau gegen den Ertrag ab. Hier müssten ihnen die Behörden weit mehr unter die Arme greifen, als sie es bisher tun. Zum Beispiel könnten Kommunen Sicherheits-Checklisten zur Verfügung stellen. Es müsste Musterkonzepte als erste Hilfestellung geben, die dann um die individuellen Anforderungen für die jeweilige Veranstaltung ergänzt werden, beispielsweise mit Blick auf Zielgruppen, Thema, Location. Die Polizei arbeitet mit so genannten Lagebildern, auf die Veranstalter zugreifen müssten. Umgekehrt: Welcher Polizist kennt sich schon mit Besuchermanagement aus?
Nennen Sie ein paar Beispiele für individuelle Anforderungen.
Beispiel Zielgruppe: Ein Rapper-Konzert zieht wohl eher junge Besucher an, Konzerte mit klassischer Musik im Kurpark werden von eher älteren Semestern besucht. Die Evakuierungskonzepte müssen sich schon aufgrund der unterschiedlichen körperlichen Kondition wesentlich voneinander unterscheiden. Hier sind es Hunderte oder Tausende von Besuchern, dort nur 40 oder 80. Beispiel Location: Wie verlaufen Besucherströme? Die Schlangen vor den Toiletten sollten sich nicht mit denen vor den Imbissständen kreuzen. Beispiel Thema: Bei einer Benefizgala im Opernhaus sind Einlasskontrollen und vielleicht Personenschutzkonzepte gefragt. Beim Karnevalsumzug kann das naturgemäß keine Rolle spielen. Letztlich müsste über die ganze Strecke gewährleistet sein, dass kein Attentäter mit seinem Fahrzeug Unheil anrichten. Wie sollte man das – bezahlbar! – umsetzen?
Für eine Demonstration für sichere Flüchtlingsrouten hatte die Organisation „Seebrücke“ kürzlich in Berlin 700 Teilnehmer angemeldet. Es kamen aber mehrere Tausend Menschen. Das ändert die Sicherheitslage gravierend. Wie muss man als Veranstalter auf solche Situationen reagieren?
Im besten Fall hat sich der Veranstalter in der Planung durch einen entsprechenden Reaktionsplan und daraus abzuleitende Sicherheitsmaßnahmen auf dieses Szenario vorbereitet. Dann werden während des Veranstaltungsbetriebs die Besucherzahlen zum Beispiel an den Zu- und Abgängen erfasst und bei einer zuvor errechneten Besucherzahl, die hier unterhalb der Schwelle von 700 liegen müsste, reaktive Handlungsschritte veranlasst. Diese könnten darin bestehen, Eingänge durch Personal und Absperrmaterial vorübergehend zu schließen, Personen vor den Eingängen und auf den Anreisewegen umzuleiten, um gefährliche Personendichten an den Zugängen zu vermeiden, und weitere Anreisende übers Radio und Internet darüber zu informieren, dass niemand mehr auf das Gelände gelassen wird. Spitzt sich die Situation weiter zu oder hat der Veranstalter keine einschlägigen Maßnahmen vorbereitet, ist es hilfreich, das Programm zu unterbrechen oder sogar abzubrechen. Die Kommunikation mit den Besuchern steht dabei für deren Verständnis und Mitwirkung im Vordergrund.
Wenn ich auf meine persönlichen Beobachtungen von Sicherheits- und Ordnungskräften bei Events zurückblicke, muss ich feststellen, dass mich deren Dienstleistungen in den wenigsten Fällen überzeugt haben. Die Taschenkontrollen waren oft oberflächlich, das Auftreten wenig sympathisch.
Das sind natürlich Ihre subjektiven Eindrücke, mit denen Sie mal recht, mal unrecht haben. Aber in der Tat ist der Service, der geleistet werden könnte, bei weitem nicht ausgereizt. Der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft wollte eine separate Qualifizierung für den „Veranstaltungsordnungsdienst“ (VOD) als rechtsverbindlich erreichen – bisher leider vergeblich.
Was könnte sich denn dadurch verbessern?
Das könnte vor allem den Umgang und die Steuerung großer Menschenmengen optimieren und den Servicecharakter stärken, der sich dann mittelbar auch auf die Sicherheitssituation auswirkt. Letztlich spielen die Dienstleister als „Visitenkarte“ eine große Rolle dabei, wie Event-Besucher die Veranstaltung wahrnehmen. Ein Beispiel bei unseren hohen Temperaturen: Die Dienstleister könnten die Besucher daran erinnern, viel zu trinken oder sich mehr im Schatten aufzuhalten. Das beugt Kreislaufkollaps vor, der andere Besucher so irritieren könnte, dass Unbehagen bis hin zu vereinzelter Panik ausbricht. Für die klassische Eintrittskontrolle braucht es, rein rechtlich, keinerlei Qualifikation. Und doch sollten die eingesetzten Kräfte natürlich wissen, wie man abtastet und wie man versteckte Waffen findet. Hilfreich wäre es auch, wenn die Ordnungskräfte für verdächtiges Verhalten sensibilisiert wären.
Wie stehen die Chancen, dass es bundesweit standardisierte Sicherheitsvorschriften für Veranstaltungen gibt?
Auf absehbare Zeit wohl kaum. Dabei gibt es noch viel zu tun, um allen Beteiligten gerecht zu werden.