Veröffentlicht am: 26.01.2022

Dirk Dernbach, regelmäßiger Teilnehmer bei der „Frage in die Runde“ von Marktplatz Sicherheit, arbeitet seit 2008 für Securitas. Dort leitete er in der Funktion als Geschäftsführer verschiedene Bereiche des Firmenportfolios, darunter mehrere Jahre als Geschäftsführer des Bereichs Sport & Event. In seiner derzeitigen Tätigkeit verantwortet er als „Areamanager West“ die Securitas-Gesellschaften in Nordrhein-Westfalen.

„Event Security gehört zu den spannendsten Tätigkeiten der Branche“

Dirk Dernbach über die Perspektiven eines Geschäftszweigs des Sicherheitsgewerbes, der seit zwei Jahren am Boden liegt

 

Marktplatz Sicherheit: Herr Dernbach, manchmal braucht es offensichtlich äußerer Anlässe, um sich auch Selbstverständlichkeiten wieder ins Gedächtnis zu rufen. Als ich im vergangenen November von der Massenpanik bei einem Konzert in Houston (Texas) erfahren habe, bei dem zehn Menschen zu Tode getrampelt wurden, dachte ich so bei mir: Ach ja, Event Security – das war ja vor der Pandemie auch im deutschen Sicherheitsgewerbe mal ein wichtiges Thema. Ist das denn noch der Rede wert?

Dirk Dernbach: Selbstverständlich, denn die Pandemie wird ja eines Tages vorüber sein. Auch wenn in Deutschland die Lage, gelinde gesagt, diffus ist und viele Veranstaltungen gar nicht oder nur mit wenig Publikum stattfinden, zeigt ja gerade das von Ihnen genannte Beispiel wie aktuell das Thema ist. Keine Sorge also, Event Security bleibt auf der Agenda, allerdings hoffentlich weniger tragisch als in Houston.

 

Eigentlich sollte man doch glauben, dass nach den verheerenden Massenpaniken beispielsweise im Brüsseler Heysel-Stadion 1985 oder bei der „Love Parade“ 2010 in Duisburg zumindest die westliche Welt gelernt haben sollte, wie sich so etwas verhindern lässt.
Wo immer man mit Menschen zu tun hat, kann es zu Fehlern kommen. Ich will mir nicht anmaßen, das Unglück in Houston zu bewerten, denn ich weiß auch nicht mehr, als in der Zeitung stand. Aber so wie es aussieht, war entweder das Sicherheitskonzept mangelhaft oder manche Beteiligte haben sich nicht daran gehalten. Das lässt sich nie ganz ausschließen.

 

Oder anders ausgedrückt mit der Binsenweisheit des Gewerbes: 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht.
Ganz genau. Trotzdem sind Polizei, Veranstalter und Sicherheits-Dienstleister für alle bekannten Risiken doch sehr sensibilisiert und können auf einen guten Maßnahmenkatalog zurückgreifen.

 

Was wären denn unbekannte Risiken?
Eine gute Frage, und ich bin versucht, sie mit dem ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zu beantworten: „Es gibt bekanntes Bekanntes; es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Wir wissen auch, dass es bekannte Unbekannte gibt: Das heißt, wir wissen, es gibt Dinge, die wir nicht wissen. Aber es gibt auch unbekannte Unbekannte – Dinge also, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.“ Das ist zutreffend und Blödsinn zugleich, beschreibt aber ganz gut die Lage der Event Security. Wer hätte denn gedacht, dass – wie in Las Vegas 2017 – ein Scharfschütze auf die Besucher eines Festivals zielt und 58 Menschen erschießt? Das war neu. Aber hier stellt sich die Frage: Wie will man sich auf so etwas vorbereiten? Ähnlich verhält es sich mit der Drohnen-Thematik. Es hat bei Events schon jede Menge kritische Situationen mit Drohnen gegeben, bei denen man hinterher den Atem angehalten hat. Passiert ist bislang zum Glück nichts. Wollen wir hoffen, dass es so bleibt. Noch ein Beispiel: Auto fährt in Menschenmenge – bis vor Jahren unbekannt, heute keine Überraschung mehr. Ein bekanntes Risiko, das oft nur schwer zu beherrschen ist: Unwetter. Wenn’s in Strömen regnet, es donnert und kracht, reagieren vielen Menschen irrational und panisch. Das lässt sich nur begrenzt beherrschen, auch mit der besten Vorbereitung.

 

Die Liste der möglichen Risiken wächst also. Berücksichtigen die Sicherheits-Dienstleister denn diese neuen Risiken bei ihren Schulungen?
Selbstverständlich. Es werden immer Beispiele aus der Praxis aufgenommen und analysiert. Zugleich müssen wir aber festhalten: Am Ende sind die Sicherheits-Dienstleister ja oftmals nur ausführendes Organ, das das Sicherheitskonzept in der Praxis umsetzt, das der Veranstalter, unter Umständen unter Zuhilfenahme von Ordnungsamt, Polizei usw., erarbeitet hat und für das dieser auch originär verantwortlich zeichnet.

 

Mal ganz allgemein gefragt: Was gehört denn in Sachen Event Security zu den Aufgaben der privaten Sicherheitskräfte?
Das ist ein weites Feld – beginnend mit der Zutrittskontrolle, seit neuestem inklusive Prüfung der Impfnachweise, über die Außenabsicherung, Bühnenschutz, Freihalten von Verkehrs- und Rettungswegen, Verhindern des Mitführens unerlaubter Gegenstände bis hin zur Bedienung der Sicherheitstechnik.

 

Herrscht hier denn wie bei anderen Sicherheitsaufgaben auch das ungeschriebene Gesetz, dass der billigste Anbieter den Auftrag erhält?
Naja, es gibt Ausnahmen, um es diplomatisch zu formulieren. Ideal wäre es beispielsweise, wenn alle Sicherheitsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter die Komplexität der gesamten Sicherheitslage überschauen könnten statt nur ihr Einsatzfeld im Umkreis von zehn Metern. Dazu müsste es eine Ortsbegehung geben – die Zeit und damit Geld kostet. Das wollen die wenigsten Veranstalter bezahlen.

 

Haben Sie schon mal einen Event-Security-Auftrag abgelehnt, weil der Veranstalter zu wenig bezahlen wollte?
Das ist gerade vorige Woche passiert. In einem anderen Fall haben wir den Veranstalter darauf hingewiesen, dass er die Personalstärke als zu gering einschätzt, um die Sicherheit zu gewährleisten, und wir den Auftrag nur mit einer Personalaufstockung durchführen würden. Bezeichnenderweise haben wir den Auftrag dann nicht bekommen.

 

Wenn der Sicherheitsdienst nur ausführendes Organ ist, wie Sie sagen, hält sich seine Haftung wohl in Grenzen, denn er kann ja nicht „schuld“ sein, wenn etwas schiefgeht.
Es wird natürlich immer ein Schuldiger gesucht. Wenn man googelt, steht oft die Polizei in der Kritik, die aber auch, wenn alles gut verläuft, immer der Erste ist, der darauf hinweist, dass sein Konzept aufgegangen ist. Gerade bei Veranstaltungsunglücken ist es aber doch sehr schwer, einen Schuldigen zu finden. Wenn bei einem Unwetter ein Aufbau umkippt – wer ist schuld? Oder nehmen Sie besagte Katastrophe im Heysel-Stadion. Ein korrupter UEFA-Verantwortlicher verkauft Tickets auf eigene Rechnung an ein Reisebüro. Dadurch gelangen Fans der einen Mannschaft in den Fanblock, der eigentlich für neutrale Fans vorgesehen ist. Es kommt zu Rangeleien, derer die nur acht dort eingesetzten Polizeibeamten nicht Herr werden. Private Sicherheitskräfte gab es nicht. Steine aus einer maroden Wand werden als Waffe eingesetzt. Die Wand kippt schließlich um und begräbt Menschen unter sich. Wer war schuld – der UEFA-Verantwortliche, die Polizei, der Stadionbauer oder der Betreiber? Eine müßige Suche nach einem Schuldigen. Wenn man den Ganzen etwas positives abringen möchte ist es dies, dass danach Maßnahmen umgesetzt wurden, in der Hoffnung, dass sich sowas nicht wiederholt.

 

Ist Event Security – von Corona mal abgesehen – eigentlich ein guter Einstieg für jemanden, der im Sicherheitsgewerbe Karriere machen will?
Die Besonderheit dieser Sicherheits-Dienstleistung liegt darin, dass für einen sehr kurzen Zeitraum sehr viele Sicherheitskräfte benötigt werden, beispielsweise bei einem Fußballspiel 1.000 Leute für fünf Stunden. Die Folge ist, dass auf diesem Gebiet vor allem geringfügig Beschäftigte, also 450-Euro-Kräfte, arbeiten, die in der Mehrzahl hauptberuflich einer anderen Tätigkeit nachgehen. Insofern ist das also kein Karrieresprungbrett. Allerdings ist Event Security unter den verschiedenen Sicherheitstätigkeiten eine der spannendsten, denn es gibt die unterschiedlichsten Aufgaben und Szenarien. Die Stimmung bei der Sportveranstaltung, die Möglichkeit, mal einen Rockstar von ganz nahe zu erleben – das kann durchaus attraktiver sein, als jede Nacht dieselbe Route durchs Firmengebäude zu laufen. Aber wir haben auch schon einige unserer Eventkräfte anderweitig eingesetzt, die ihre Berufung nun in der Sicherheitsbranche gefunden haben.

 

Was sind die Corona-Folgen für diejenigen, die sich auf Event Security spezialisiert haben?
Dass das Geschäft inzwischen seit zwei Jahren praktisch zum Erliegen gekommen ist, ist bekannt. Inzwischen gibt es wieder Veranstaltungen, aber viel zu wenig Personal. Das ist zwar im gesamten Sicherheitsgewerbe so, aber bei der Event Security viel dramatischer. Die vielen 450-Euro-Kräfte haben sich umorientiert und zögern aufgrund der Unsicherheiten, wieder zurückzukommen. Neueinsteiger müssen ausgebildet werden. Das dauert, zumal auch die Ausbildungs- und Prüfungsinstitutionen erst langsam wieder in die Gänge kommen. Hier helfen sich die Marktteilnehmer derzeit gegenseitig als Subunternehmer.

 

Wir sind in der vierten Corona-Welle, die fünfte steht bevor – und die Politik macht die schlechteste Figur von allen. Wie sehen Sie die Perspektive in Sachen Event Security?
Eine zuverlässige Prognose kann ich nicht stellen, dafür ist vor allem die Politik zu unberechenbar. Auch bleibt abzuwarten, wie viele Veranstalter die Krise überstehen. Es fallen ja auch nicht alle Events aus, sondern werden nur verschoben. Also ist damit zu rechnen, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt so viele Events gibt, dass sich das Personalproblem nochmals verschärft. Ich persönlich habe das Jahr 2024 im Blick – dann soll nämlich die Europameisterschaft in Deutschland stattfinden. Für die Event-Branche – ob Veranstalter, Künstler, Techniker oder Sicherheits-Dienstleister – kann man nur wünschen, dass der Corona-Albtraum dann vorbei ist.