Veröffentlicht am: 16.03.2022
Sebastian Tyroller (40) ist seit seinem 18. Lebensjahr selbstständig im Sicherheitsgewerbe tätig. Heute gehören zur Tyroller Holding GmbH die drei Unternehmen P3 Security GmbH (Wach-, Objekt- und Veranstaltungsschutz, Geld- und Werttransporte), Certified Close Protection und Tyroller Consulting GmbH (Sicherheits-, Schutz- und Hygienekonzepte). Insgesamt beschäftigen die Unternehmen mit Sitz in München rund 70 Mitarbeiter.
„Höherer Mindestlohn? Muss das Sicherheitsgewerbe nicht interessieren!“
Aber gut, dass wir drüber geredet haben: Sebastian Tyroller über soziale Gerechtigkeit und die Notwendigkeit, das Befolgen gesetzlicher Regelungen zu kontrollieren
Marktplatz Sicherheit: Herr Tyroller, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will spätestens im kommenden Oktober den gesetzlichen Mindestlohn, der heute 9,82 Euro beträgt und im Juli auf 10,45 Euro steigt, auf 12,00 Euro heben. Welche Auswirkungen erwarten Sie für das Sicherheitsgewerbe?
Sebastian Tyroller: Praktisch keine.
Werden denn nicht wenigstens die Tariflöhne angepasst werden müssen?
Naja, im Cent-Bereich schon. In Bayern liegt er derzeit bei 11,57 Euro – da ist es zu den zwölf Euro nicht mehr weit. Von „Auswirkungen“ kann man da doch nicht allen Ernstes sprechen.
Was wäre denn ein angemessener – oder sagen wir besser: fairer – Mindestlohn?
Die Antwort muss immer davon ausgehen, was für Arbeitnehmer übrigbleibt. Am Ende des Monats muss er seinen Lebensunterhalt davon bestreiten können: Nahrung, Kleidung, Miete, Auto und Versicherung. Er muss auch mal ins Kino gehen oder sich anderweitig vergnügen können. Das ist mit zehn Euro pro Stunde, von denen ja die Lohnkosten noch abgehen, schlichtweg nicht möglich. Schauen wir doch auf ein anderes Gewerbe, bei dem es wirklich jeder nachvollziehen kann: Wie ist ein Haarschnitt für zehn Euro vorstellbar? Einer bezahlt doch für diesen Billigpreis – der Frisör oder die Frisörin. Am Ende des Monats müssen sie zum Amt gehen, um finanzielle Unterstützung zu bekommen, sprich: Sie müssen die Gesellschaft um mehr Geld anbetteln. Von Fairness kann hier sicherlich keine Rede sein.
Erreichen wir denn mit einem Mindestlohn von zwölf Euro soziale Gerechtigkeit?
Ganz sicher nicht. Auf der anderen Seite: Wer 180 Stunden im Monat arbeitet, hat dann 360 Euro brutto und rund 180 Euro netto mehr. 180 Euro sind in diesem Lohnsegment schon eine ganze Menge.
Weder Sie noch ich machen uns über 180 Euro im Monat Gedanken. Ist es nicht arrogant, zu argumentieren, dass 180 Euro besser als nichts sind?
Arrogant würde ich das nicht nennen, aber ich verstehe schon, worauf Sie hinauswollen. Am Ende muss natürlich auch immer das Ziel stehen, dass das Unternehmen weiter bestehen kann. Und da hängt es immer an der Einstellung des Unternehmers: Streiche ich mehr Profit ein oder bezahle ich die Mitarbeiter besser? Ich habe für mich die Entscheidung schon längst getroffen: Ich senke meine Marge und zahle meinen Mitarbeitern mehr.
Butter bei die Fische: Wie hoch ist der Mindestlohn bei P3 Security?
So hoch, dass zumindest wir über einen größeren Mitarbeitermangel nicht klagen können: 16,50 Euro.
Verständlich, dass Sie und Ihre Belegschaft von der „Großzügigkeit“ des Bundesarbeitsministers wenig beeindruckt sind.
Tatsächlich sind aber viele derjenigen beeindruckt, die neu bei uns anfangen. Oftmals können sie es gar nicht glauben, bis die erste Lohnüberweisung ihr Konto erreicht.
Die sind immerhin den Schritt gegangen und haben den Arbeitgeber gewechselt. Viele andere von den rund 260.000 Mitarbeitern im Sicherheitsgewerbe lassen sich dagegen die Niedriglöhne gefallen. Warum eigentlich?
Ich frage immer mal nach, bekomme aber keine zufriedenstellende Antwort. Vermutlich wissen es viele nicht besser, andere ergeben sich in ihr Schicksal. Dritte wiederum haben sich in eine bestimmte Abhängigkeit zu ihrem Arbeitgeber begeben, beispielsweise über einen Kredit, und kommen da nicht mehr raus. Das kommt in unsere Branche nicht einmal so selten vor.
Wo liegen denn die Ursachen für die niedrigen Löhne – bei den bösen Arbeitgebern, die die Gewinne selbst einstecken, oder bei den bösen Auftraggebern, die nichts bezahlen wollen?
Wenn wir mal die öffentliche Hand beiseitelassen, die oft ein wirklich unsäglicher Marktteilnehmer ist, so beobachte ich bei den Auftraggebern durchaus ein zaghaftes Umdenken. Sie wünsche eine gute Sicherheits-Dienstleistung durch ausgebildete Sicherheitskräfte und sind auch bereit, den Preis dafür zu bezahlen. Immer häufiger spielt der Schutz des eigenen Images und der Marke eine wichtige Rolle. Keiner will, dass es einem wie mit der Marke „Love Parade“ geht, die verbrannt ist. Oder denken Sie doch an die Schwarzarbeit-Kontrollen durch den Zoll bei einem internationalen Fußballturnier in einem Münchner Fußballstadion im Sommer 2019. Diese Schlagzeilen wollen sich doch keine Firmen und Organisationen leisten.
Was nutzt ein noch so unfairer Mindestlohn, wenn sich selbst an den viele Firmen nicht halten – gang und gäbe im Sicherheitsgewerbe?
Das ist ein wichtiger Punkt. Die staatlichen Stellen müssen die gesetzlichen Vorgaben kontrollieren. Solche großangelegten Zollkontrollen wie beim eben angesprochenen Fußballspiel sind hier zu Lande keine Selbstverständlichkeit. Ähnlich ist es doch mit dem Bewacherregister. Da wird den seriösen Unternehmen ein hoher bürokratischer Aufwand abverlangt – und andere scheren sich nicht darum. Dass sich bei mir Bewerber ohne Bewacher-ID vorstellen, obwohl sie bereits seit Jahren als Sicherheitsmitarbeiter in der Sicherheitsbranche arbeiten, kommt gar nicht so selten vor. Das ist keine Nachlässigkeit der Bewerber, sondern des aktuellen oder vorherigen Arbeitgebers. Der wiederum kann lässig mit den Schultern zucken – kontrolliert ja keiner.
Demnach wird der neue Mindestlohn weder die schwarzen Schafe aus dem Sicherheitsgewerbe fegen noch das Image der Branche verbessern?
Zweimal: Genauso ist es.
Was wären denn geeignetere Maßnahmen?
Der Gesetzgeber muss die Einstiegskriterien verschärfen. Eine Sicherheitsfirma darf nur gründen, wer mindestens Meister für Schutz und Sicherheit ist.
Dafür kämpft der BDSW ja schon seit Jahrzehnten – ohne Erfolg. Ist das Sicherheitsgewerbe einfach zu unwichtig, um die Aufmerksamkeit von Bundestagsabgeordneten auf sich zu ziehen?
Naja, das Sicherheitsgewerbe erwirtschaftet jährlich über neun Milliarden Euro. Ganz so unwichtig sind wir also nicht. Trotzdem eine interessante Frage, die ich jetzt, nachdem wir das Interview geführt haben, mal einem mir persönlich bekannten Bundestagsabgeordneten stellen werde.
Bleibt als Fazit aus unserem Gespräch: Mit dem neuen Mindestlohn kann die Ampel-Koalition zumindest in unserer Branche nicht punkten, richtig?
Ja, das stimmt. So lange die Branche nicht völlig neu gedacht wird, hilft der Mindestlohn den Mitarbeitern nicht.