Veröffentlicht am: 09.08.2023

Interviewpartner Dr. Gerald Gaß ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft e. V. in Berlin.

„Krankenhäuser bleiben auf ihren Sicherheitskosten sitzen“

DKG-Vorstandsvorsitzender Dr. Gerald Gaß über zunehmende Gewalt in Kliniken, Anforderungen an Sicherheitsdienste und fehlende Finanzhilfen

 

Markplatz Sicherheit: Herr Dr. Gaß, immer öfter liest man von gewalttätigen Übergriffen auf Rettungspersonal. In Krankenhäusern und Notfallambulanzen ist die Sicherheitssituation indes schon viel länger angespannt, sodass auch hier private Sicherheitskräfte im Einsatz sind. Können Sie uns die aktuelle Lage etwas genauer schildern?

 

Dr. Gerald Gaß: Wir haben gemeinsam mit dem Deutschen Krankenhausinstitut erst Anfang des Jahres die Krankenhäuser über ihre Erfahrungen mit Gewalt in der Notaufnahme befragt. 91 Prozent der Kliniken gaben an, dass in ihren Notaufnahmen Gewalt zumindest angedroht wurde. Das ist ein bedenklich hoher Wert. Auch Berichte von Beschäftigten bestätigen den Eindruck, dass sich das Problem verschärft hat.

 

Gibt es Erkenntnisse dazu, warum Patienten und ihre Angehörigen zum Teil gegenüber dem Krankenhauspersonal immer aggressiver werden?
Die Ursachen sind sehr verschieden. Menschen im Krankenhaus befinden sich auf unterschiedliche Weise in Ausnahmesituationen. Manchmal geht es buchstäblich um Leben und Tod. Angst, Stress und Unsicherheit kommen dabei zusammen und lösen entsprechende Emotionen aus. Körperliche und verbale Gewalt gehen von Patienten, aber häufig auch von Angehörigen und Begleitpersonen aus, die zum Beispiel die Behandlungsreihenfolge in einer Notaufnahme nicht verstehen und meinen, ihr Familienmitglied werde benachteiligt. Es ist schon interessant, dass nicht nur 91 Prozent der Kliniken Gewalterfahrungen in ihren Notaufnahmen haben, sondern dass auch 92 Prozent angeben, dass bei ihnen regelmäßig Wartezeiten von mehr als einer Stunde bei leichten Verletzungen oder so genannten Bagatellfällen vorkommen. In solchen Situationen kann es eskalieren, da eine Notaufnahme wirklich schwere oder gar lebensbedrohliche Fälle versorgen muss. Diese haben natürlich immer Priorität. Für andere Fälle sind die niedergelassenen Ärzte zuständig, aber da das nur selten funktioniert, suchen natürlich die meisten Menschen direkt Hilfe in den Notaufnahmen. Manchmal gehört Gewalt auch zum Krankheitsbild selbst, zum Beispiel bei Menschen unter Alkoholeinfluss oder bei psychisch Erkrankten. Mittlerweile haben in vielen Kliniken die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Notaufnahmen ein so genanntes Deeskalationstraining absolviert, um eskalierende Situationen rechtzeitig zu erkennen beziehungsweise gar nicht aufkommen zu lassen.

 

Unterscheidet sich die Sicherheitssituation von Krankenhäusern in Großstädten und in der Provinz? Oder gibt es andere Unterschiedsmerkmale?
Wesentliche Unterschiede zwischen Regionen sind uns nicht bekannt. Natürlich gibt es auch Kliniken, in denen Gewalt kein Thema ist, während andere besonders stark betroffen sind.

 

Die öffentliche Hand ist bekannt dafür, dass sie Sicherheitsdienste ausschließlich auf Basis des Billigbieter-Prinzips beauftragt. Von den Folgen berichten die Medien regelmäßig. Nach welchen Kriterien beauftragen Krankenhäuser private Sicherheitsdienste? Sind die Beschaffungsstellen von Krankenhäusern qualifiziert genug, um zu wissen, welche Anforderungen man an Sicherheitsdienste stellen muss, und um deren Qualität beurteilen zu können?
Die Entscheidungen, ob ein Sicherheitsdienst eingesetzt wird und welcher, liegt in den Händen der Krankenhäuser. Neben Sicherheitsdiensten nutzen Krankenhäuser auch andere Mittel zur Gewaltbekämpfung, etwa spezielle Schulungen für das Personal oder einen kurzen Draht zur nächsten Polizeiwache. Ich vertraue hier den Verantwortlichen vor Ort, auf ihre jeweilige Situation adäquat reagieren zu können.

 

Welche spezifischen Anforderungen werden denn an Sicherheitsdienste gestellt, die für Krankenhäuser arbeiten? Sind Zusatzqualifikationen notwendig?
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Sicherheitsdiensten in Krankenhäusern müssen sich der besonderen Umgebung bewusst sein, in der sie arbeiten. Dazu zählt eben auch, dass sich viele der Personen, von denen Aggression ausgeht, in Ausnahmesituationen befinden. Auch ist mit psychisch Kranken oder stark alkoholisierten Menschen anders umzugehen als mit üblichen Gewalttätern. Am Ende steht jedoch der Schutz der anderen Patientinnen und Patienten und natürlich der Beschäftigten im Vordergrund. Sich in dieser Gemengelage zu bewegen, ist sicher nicht ganz anspruchslos.

 

Welche Aufgabe können Sicherheitsdienste neben dem Schutz vor Aggression und Gewalt übernehmen?
Krankenhäuser müssen grundsätzlich offene Häuser sein, da Patientinnen und Patienten ihre Freiheitsrechte ja nicht verloren haben und zum Beispiel jederzeit die Klinik verlassen können müssen. Das bedeutet umgekehrt leider auch, dass beispielsweise Diebe ein Krankenhaus ebenfalls betreten können. Auch hier können Sicherheitsdienste Unterstützung leisten und die bereits wachsamen Augen der Krankenhausbeschäftigten ergänzen und im Notfall gewalttätige Diebe auch festsetzen. Das schützt dann nicht nur das Eigentum der Patientinnen und Patienten, sondern auch häufig extrem teure Medizintechnik.

 

Welche Aufgaben haben Sicherheitsdienste während der Pandemie übernommen? Waren die Krankenhäuser mit den Leistungen zufrieden?
Grundsätzlich haben sich die Aufgaben nicht unterschieden. Während der Pandemie gab es zudem strengste Hygienevorschriften und Zutrittsbeschränkungen. Das galt dann auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsdienste, sodass sich ihr Arbeitsort vollkommen verändert hat. An einigen Orten gab es zudem Demonstrationen aus dem Querdenker-Milieu, die explizit Krankenhäuser als Ziel hatten. Hier stellten sich für Sicherheitsdienste ganz neue Herausforderungen.

 

2019 hat der frühere Hauptgeschäftsführer Ihres Verbands finanzielle Unterstützung von der Bundesregierung gefordert, um sicherheitsrelevante Maßnahmen gegenzufinanzieren – analog des Sonderprogramms für den Hygienebereich. Was hat sich da bis heute getan? Welche Perspektiven gibt es?
Leider ist auch die Sicherheit einer von vielen Bereichen, in denen die Kliniken auf den Kosten sitzen bleiben. Für Sicherheitsdienste und -konzepte gibt es nach wie vor keine Budgets oder Zuschläge. Die Krankenhäuser baden hier sozusagen gesellschaftliche Schieflagen mit zunehmender Verrohung finanziell aus. Es sind weitere Kosten, die in einer ohnehin angespannten wirtschaftlichen Lage die Krankenhäuser treffen.

 

In Deutschland gibt es nur wenige Krankenhäuser, die einen eigenen Leiter für die Corporate Security installiert haben. Andere Länder sind schon viel weiter. Wäre es nicht langsam an der Zeit, das zu ändern?
Die Einrichtung immer neuer Beauftragter löst die Probleme nur bedingt. Das bleibt Entscheidung des Krankenhauses und ist abhängig von der konkreten Lage. Es gibt natürlich auch zahlreiche Kliniken, die kein Problem mit Übergriffen haben. Bei aller Ernsthaftigkeit des Gewaltproblems sollten wir nicht vergessen, dass wir in Deutschland noch immer in einem der sichersten Länder der Erde leben. Anders als in den USA zum Beispiel müssen wir hier nicht mit bewaffneten Übergriffen rechnen. Hinzu kommt die sehr angespannte finanzielle Lage im Krankenhausbereich, die durch die Inflation beziehungsweise den weiterhin fehlenden Inflationsausgleich noch einmal verschärft wurde. Das betrifft dann leider nicht nur die Sicherheit.