Veröffentlicht am: 07.01.2021
Foto: Dr. Harald Olschok
Dr. Harald Olschok
Dr. Harald Olschok ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft e. V. (BDSW).
„Nicht immer, aber weitgehend eine Erfolgsgeschichte“
Marktplatz Sicherheit im Interview mit
Dr. Harald Olschok · Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft e.V. (BDSW).
Ende 2021 geht Dr. Harald Olschok in den Ruhestand. Ein frühzeitiges Interview mit Rückblick auf die vergangenen fast 30 Jahre, ganz ohne Wehmut.
Marktplatz Sicherheit: Herr Dr. Olschok, uns beide hat es mit nur einem Jahr Abstand in die Sicherheitsbranche verschlagen – Sie fingen 1992 als Hauptgeschäftsführer des BDSW (damals BDWS) an, ich begann ein Jahr später in einem Sicherheits-Fachverlag. Seither begleiten wir einander sozusagen – ich als publizistischer Beobachter, Sie als gestaltender Beobachteter. Ende diesen Jahres werden Sie in den Ruhestand gehen. Bevor andere ein Wehmutsinterview mit Ihnen führen, wollte ich der erste sein. Man sollte annehmen, dass in diesen fast 30 Jahren viel in der Branche passiert ist. Ist viel passiert?
Dr. Harald Olschok: Ja, natürlich ist eine ganze Menge passiert. Nehmen Sie doch nur die reinen Zahlen. 1992 lag der Umsatz des Sicherheitsgewerbes bei rund zwei Milliarden Euro, heute sind es neun Milliarden. Die Zahl der Mitarbeiter ist von 66.000 auf 266.000 gewachsen. In beiden Fällen also ist das weitaus mehr als eine Vervierfachung – für eine so kleine, weitgehend immer noch „analoge“ Branche durchaus bemerkenswert. Hinzu kommen eine Qualitätsoffensive ohnegleichen – die Einführung von zwei Ausbildungsberufen, die Reform der Seiteneinsteigerregelung Werkschutzfachkraft, Studiengänge an mehreren Polizeihochschulen –, die DIN 77200 und seit 1996 mehr Änderungen in der Gewerbeordnung als in den 80 Jahren vorher. Außerdem die positiven Ereignisse, an denen wir erfolgreich mitgearbeitet haben: Die WM 2006 in Deutschland und die Euro-Einführung 2002. Besonders stark haben uns negative Ereignisse beeinflusst, wenn nicht verändert: Der „11. September“, die Heros-Pleite, die Flüchtlingskrise und, ganz aktuell, die Corona-Pandemie.
Wobei man nicht vergessen darf, dass das Wachstum nicht nur organisch war, sondern auch zum Teil der deutschen Einheit geschuldet ist.
Das stimmt, diese war aber bei meinem Einstieg schon recht weit abgeschlossen. Schauen wir uns das historisch an: Drei Jahre nach Gründung des ersten deutschen Wachunternehmens am 15. Juli 1901 in Hannover wurde in Köln 1904 die „Zentralstelle der vereinigten Wach- und Schließgesellschaften“ gegründet. Die Gründerväter hatten schnell erkannt, dass eine wirkungsvolle Interessenvertretung notwendig ist, um die Branche weiterzuentwickeln. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde im September 1948 in Frankfurt der „Zentralverband des deutschen Bewachungsgewerbes“ als Spitzenorganisation der deutschen Bewachungsunternehmen aus der Taufe gehoben. Aber erst zu Zeiten der RAF in den 70er Jahren wurde aus dem Gewerbe eine ernstzunehmende Branche, als sich der professionelle Werkschutz zu emanzipieren begann. 1973 benannten wir uns um in „Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen“ (BDWS) und fast 40 Jahre später wurde daraus der „Bundesverband der Sicherheitswirtschaft“ (BDSW). In unterschiedlicher Geschwindigkeit kannte das Gewerbe immer nur eine Richtung: nach oben. Das stärkste Wachstum war 2015 zu verzeichnen, als die Bewachung von Flüchtlingsheimen ihren Höhepunkt erreichte. Die Zahl der Mitarbeiter und der Umsatz stiegen in kürzester Zeit um 30 Prozent.
Eine kontinuierliche Erfolgsgeschichte also?
So absolut sollte und kann man das leider nicht ausdrücken. Die geschilderte wirtschaftliche Entwicklung hat natürlich auch viele Existenzgründer, in der Flüchtlingskrise auch „Glücksritter“ angelockt. Die Zahl der Unternehmen ist in den letzten 30 Jahren stark gestiegen, der hohe Wettbewerbsruck hat die Rendite sinken lassen. Auch die Digitalisierung der Welt macht vor dem Sicherheitsgewerbe nicht halt. Die eine oder andere Tätigkeit übernimmt inzwischen die Technik, sodass wir in Teilen unseres Marktsegments von einem Rückgang der Zahl der Beschäftigten ausgehen können. Stichwort Betreibermodell bei der Bundeswehr. Die Tarifvielfalt hat leider stark zugenommen, weil die Zuständigkeit in den Bundesländern liegt. Unsere Bemühungen, mehr bundesweite Tarifverträge abzuschließen, waren nur bei den Wertdienstleistern und in der Luftsicherheit erfolgreich. Es fehlt uns ein starker Sozialpartner, der sich jenseits der Tarifauseinandersetzungen aktiv und umfassend für unsere Branche einsetzt. Und so wie ich Sie kenne, werden Sie gleich mit einem Thema anfangen, bei dem Sie uns in den zurückliegenden Jahren am meisten kritisiert haben: das Image der Branche. Also komme ich Ihnen hier zuvor: Nein, in Sachen Anerkennung von Sicherheits-Dienstleistungen in der Öffentlichkeit und bei Kunden können wir in der Tat nicht von einer uneingeschränkten Erfolgsgeschichte sprechen. Hier hätte ich mir deutlich mehr gewünscht.
Und das kreide ich auch heute noch dem BDSW an. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie das Marketing sind miserabel. Das ist aber nur zu verständlich, wenn man bedenkt, dass ein Verband nur so gut sein kann wie seine Mitglieder. Und da sieht es ja gerade bei den führenden Mitgliedern düster aus. Kötter ist der einzige, der sich überhaupt eine funktionierende Presseabteilung leistet. Eine Einrichtung namens Presseabteilung hat Securitas zwar auch, aber der Output war doch bislang höchst bescheiden. Bei der Niedersächsischen, bei Pond und der Kieler Wach- und Schließ weiß man vermutlich gar nicht, wie man Presse und Marketing überhaupt schreibt, von Klüh, b.i.g. und Stölting ganz zu schweigen.
Ihre Bewertung der einzelnen Unternehmen kommentiere ich natürlich nicht. Dazu müssen Sie die Unternehmen schon selbst fragen. Es ist aber richtig, dass ich immer wieder einen Anlauf gemacht habe, mehr in eine strategische und umfassende Öffentlichkeitsarbeit des Verbandes zu investieren. Das kostet aber Geld. Ich bin schon damit zufrieden, dass wir seit vielen Jahren einen Pressesprecher beziehungsweise eine Pressesprecherin haben. Silke Zöller ist für drei Verbände gleichzeitig tätig. Damit allein kann man nur reagieren. Am Ende entscheiden die Mitglieder über das Budget eines Verbandes.
In dieser Beziehung kommen mir die BDSW-Mitglieder manchmal wie ein Club von Autisten vor. Alle erkennen, dass ihrem Geschäftsfeld weitgehend die Akzeptanz fehlt. Jeder schüttelt den Kopf, wundert und ärgert sich. Aber wenn es darum geht, etwas daran zu ändern, sind sie alle ratlos. Das war schon ab den 1980er Jahren, als mit dem Privatfernsehen hier zu Lande auch das Medienzeitalter begann, weltfremd. Heute, da es Internet und Social Media gibt, ist es schlichtweg autistisch.
Eine Entwicklungsstörung kann ich bei unseren 1.000 Mitgliedern nun wirklich nicht erkennen. Im Gegenteil. Wenn wir die objektiven Rahmenbedingungen betrachten – große Konkurrenz, häufig einfache und damit auch gesellschaftlich nicht besonders anerkannte Tätigkeiten, deshalb auch vergleichsweise niedrige Löhne – dann leistet die Masse unserer Mitglieder einen tollen Job! Ob uns als Verband oder als Branche die sozialen Medien wirklich weiterhelfen, bezweifle ich. Dennoch bin ich für eine weitere Ausweitung. Bei der Medienarbeit benötigen unsere Mitgliedsunternehmen immer die Zustimmung ihrer Kunden. Und diese haben in den wenigsten Fällen Interesse, mit dem Objektschutz in die Medien zu kommen. Sie haben doch auch viele Wachleute wahrgenommen, die seit der Corona-Pandemie die Zugänge zu den Supermärkten kontrollieren. Es sind sicher einige dabei, denen Sie nachts nicht auf der Straße begegnen wollen? Aber das sind die Ansprüche unserer Kunden: Hauptsache billig! Jetzt lenkt unsere Diskussion aber davon ab, dass wir nur von einem Teil der Kunden reden. Es gibt viele, die großen Wert auf Qualifikation, Know-how und gutes Auftreten legen…
…dafür aber nicht bezahlen wollen. Aber lassen wir das – es ist eine müßige Diskussion. Auch wichtig ist, was Sie gerade angesprochen haben: Qualifizierung. Da hat sich ja immerhin etwas getan.
Sehr richtig. Das Jahr 2002 war eine „Quantensprung“ in unserer inzwischen 120-jährigen Geschichte. Oder hätten Sie 1993 gedacht, dass man private Sicherheit in unserem weltweit anerkannten dualen Ausbildungssystem lernen kann? Ich nicht! Heute haben wir zwei Ausbildungsberufe, die Service- und die Fachkraft für Schutz und Sicherheit. Über 10.000 junge Menschen haben die Abschlussprüfung erfolgreich abgeschlossen. Wir haben die alte Werkschutzfachkraft entrümpelt und daraus die Geprüfte Schutz- und Sicherheitskraft (GSSK) gemacht. Dann kann man noch den Meistertitel draufsetzen. Und nicht zu vergessen sind die diversen Studiengänge Sicherheitsmanagement. Der reine IHK-Sitzschein reicht nur noch für die einfachsten Tätigkeiten aus. Wir wollen daraus eine Basisqualifizierung machen. Darauf bauen dann die vielen Zusatzqualifikationen für die „111 Tätigkeiten“ auf, die beispielsweise den Umgang mit den verschiedensten Technologien im Fokus haben. Ohne das konsequente Engagement des BDSW wäre das nicht möglich. Dankenswerterweise bekamen wir starke Unterstützung von der Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW).
Fehlt nur noch der Hinweis auf die Qualitätsnorm DIN 77200, „die Norm, an die sich niemand halten muss“ habe ich sie vor vielen Jahren genannt. Vordergründig geschaffen, um Qualität ins Gewerbe zu bringen, aber eigentlich dafür gedacht, um den großen Dienstleistern einen Wettbewerbsvorteil vor den kleinen zu ermöglichen, denn die Zertifizierung ist höchst aufwändig und teuer.
Das ist wieder Ihre Interpretation, wir dagegen verfolgen den Qualitätsgedanken, unabhängig von der Größe des Unternehmens. Die Akzeptanz der DIN 77200 bei den Kunden muss deutlich gesteigert werden, sie muss gelebt werden und sie muss auch durch die Kunden kontrolliert werden. Die Zertifizierungsurkunde von TÜV oder DEKRA reicht nicht aus. Eine große Bedeutung haben die versicherungs- und auch genehmigungsrechtlichen Auflagen unserer Kunden. Denken Sie an die Tausenden von Unternehmen im Bereich kritischer Infrastrukturen. Unser Gewerbe hat sich in der Tat von der reinen Bewachung immer mehr hin zu Allround-Sicherheitsdienstleistern entwickelt. Sicherheitskonzepte und Sicherheitsberatung werden immer wichtiger. Beraten kann nur, wer Ahnung hat. Aber um Ihrem Einwand zuvorzukommen: Ja, auch hier tummeln sich viele schwarze Schafe.
Was haben Sie noch in den vergangenen drei Jahrzehnten erreicht?
Trotz aller besprochenen Probleme: Gemeinsam mit dem Präsidium haben wir einen schlagkräftigen Verband geschaffen, der gehört wird. Wichtig war vor vielen Jahren die Gründung unserer Hauptstadtbüros in Berlin. Dies wird weiter ausgebaut werden. Wir haben die Akzeptanz unserer – schwierigen – Branche in Politik und Gesellschaft gesteigert und wir haben eine bespiellose Qualitätsoffensive gestartet. Besonders interessant war zu Beginn meiner Tätigkeit die Mitarbeit im europäischen Verband, der CoESS. In meiner Zeit als Vizepräsident haben wir eine schlagkräftige Organisation geschaffen mit besonderem Fokus auf der Entwicklung des Best-Bieter-Prinzips für Sicherheitsdienstleistungen. Das Prinzip macht es möglich, dass bei der öffentlichen Auftragsvergabe nicht nur der Preis eine Rolle spielen darf, sondern auch Qualitäts- und andere Kriterien. Auch das ist natürlich noch nicht flächendeckend verbreitet, hat aber das Vergabewesen bedeutend beeinflusst. Der zweite Punkt: Wir haben die so genannte Freizügigkeit im EU-Dienstleistungssektor verhindert. Wäre das nicht geschehen, hätten in Deutschland die Konditionen von europäischen Niedrigpreisländern Einzug gehalten. Das hätte das deutsche Sicherheitsgewerbe zerstört. Und, vorläufig letzter Punkt, wir haben erfolgreich den Einstieg in vom Staat gefördert Projekte in der Sicherheitsforschung geschafft.
Wechsel der Zuständigkeit für das Sicherheitsgewerbe vom Wirtschafts- zum Innenministerium sowie das bevorstehende Sicherheitsdienstleistungsgesetz sind weitere Erfolge, die der BDSW auf seinem Konto verbuchen kann. Darüber ist in vergangenen Monaten und Jahren viel berichtet worden, sodass wir es hier mal zurückstellen. Geschmerzt haben muss sie die Gründung des Bundesverbands der mittelständischen Sicherheitsunternehmen (BVMS).
„Schmerzen“ ist vielleicht nicht der richtige Begriff, aber ärgerlich! Ohne überheblich zu sein, ein „richtiger“ Verband braucht eine unabhängige und kompetente Geschäftsführung. Das sehe ich beim BVMS nicht. Eine kritische Haltung gegenüber dem BDSW und seinen Mitgliedern oder ein – ansprechend gestaltetes – Verbandsmagazin mit Website reicht nicht aus! Zu einer wirkungsvollen Verbandsarbeit gehört schon noch mehr. Ich glaube auch nicht, dass wir „die“ Mittelständler wirklich vernachlässigt haben. Wir haben rund 400 ehrenamtliche Vertreterinnen und Vertreter in unseren rund 25 Tarifkommissionen und Arbeitskreisen – die sind nicht alle bei den Großen tätig. Ein Großteil unserer Mitglieder besteht ja aus dem Mittelstand. Unser Präsidium spiegelt weitgehend die Struktur unserer Branche wider. Präsident Gregor Lehnert ist ein Mittelständler aus dem Saarland mit großen Erfahrungen zunächst in der Polizei, dann als Staatssekretär im thüringischen Innenministerium. Vizepräsident Lutz Kleinfeldt aus Lübeck führt seit vielen Jahren erfolgreich eines der ältesten Unternehmen in Deutschland.
Wollten Sie nicht ursprünglich mal mit 65 Jahren in den Ruhestand gehen. Im Dezember 2020 war es doch soweit…
Naja, solange die Gesundheit stabil ist, meine Ehefrau noch kommunalpolitisch aktiv ist und vor allem die Mitglieder noch nicht genug von mir haben, dachte ich, verlängerst du noch um ein paar Monate. Das zeigt aber auch, dass ich meinen Job nach wie vor gerne mache.
Werden Sie dann der Sicherheitsbranche den Rücken kehren?
Sicher nicht. Ich werde der Branche noch eine ganze Weile beratend zur Verfügung stehen. In welcher Form wird sich zeigen. Gerne würde ich mein Wissen und mein Netzwerk weiterhin zur Verfügung stellen. Und ich habe vor, ein Buch über die Entwicklung der Branche vor allem in den letzten 30 Jahren zu schreiben. Aus den 300 Beiträgen, die ich verfasst habe, sollte sich noch was Ordentliches machen lassen.
Dazu wünsche ich Ihnen alles Gute. Mein persönlicher Wunsch: Da Sie ja dann kein Blatt mehr vor den Mund nehmen müssen, legen Sie bitte ausführlich den Finger in die Image-Wunde der Branche. Wer wird Ihnen übrigens beim BDSW nachfolgen?
Warten wir’s ab. Das wird das Präsidium zu gegebener Zeit verkünden.