Veröffentlicht am: 24.11.2021

Felix Timtschenko ist angesehener Risikomanagement-Experte und international gefragter Vortragsredner und Trainer. Vor 20 Jahren begann er seine Karriere als Security-Mitarbeiter. Nach einer Ausbildung zum Personenschützer wurde er für den Vorstand der Siemens AG tätig. Dort war er der jüngste Mitarbeiter der Corporate Security im Referat Unternehmenssicherheit und machte seinen Abschluss als Sicherheitsfachwirt. Als Senior Manager bei Imperial Brands (bekannt unter dem Namen Reemtsma) war er verantwortlich für die Bereiche Reisesicherheit und Krisenmanagement für den gesamten Konzern. Heute leitet er die Sicherheitsabteilung einer deutschen Uhrenmanufaktur im Luxussegment.

„Ohne das Sicherheitsgewerbe funktionieren weder Firmen noch öffentliche Hand“

Felix Timtschenko über Augenhöhe, Qualitätskriterien der Auftragsvergabe und wie man Karriere in der Branche macht

 

Marktplatz Sicherheit: Herr Timtschenko, gerne möchte ich mal ein Interview zum Sicherheitsgewerbe beginnen, ohne gleich auf das schlechte Image und das Totalversagen im Marketing zu sprechen zu kommen. Können Sie mir da weiterhelfen?

Felix Timtschenko: Dann lassen Sie uns doch zunächst über die große Bedeutung der Sicherheits-Dienstleister für Unternehmen reden. Ohne die funktioniert nämlich kein Konzern und kein Mittelständler mehr so richtig, von der öffentlichen Hand ganz zu schweigen. Seien es Events, Objektschutz, Kontrollen und Streifen im öffentlichen Raum, Transport und Logistik, Reisesicherheit und Evakuierung – allein mit der hoheitlichen Aufgabenwahrnehmung, sprich: der Polizei, ist das alles nicht zu bewältigen.

 

Wenn Sie als Sicherheitschef eines mittelständischen Herstellers von Luxusuhren mit einem Sicherheits-Dienstleister verhandeln, haben Sie dann das Gefühl, dass dies auf Augenhöhe geschieht?
Das kommt ganz darauf an. Wenn ich im Laufe meiner Karriere mit Briten oder Amerikanern beispielsweise für spezielle Sicherheitsaufträge verhandelt habe, traf das zweifelsohne zu. Die verstehen nicht nur ihr Sicherheits-Business, sondern auch das Business ihrer Kunden. Die wissen, wie ein Angebot auszusehen hat, und kennen die Sprache des Managements. Mit KPI („Key Performance Indicator“), also die Leistungskennzahlen, an denen sich Erfolg bemisst, können sie was anfangen. Ich habe manchmal Geschäftsführer oder Vertriebsleiter von deutschen mittelständischen Sicherheitsfirmen mir gegenüber sitzen, die machen schon große Augen, wenn ich auch nur von Qualitätssicherung spreche.

 

Bekommen die dann trotzdem einen Auftrag?
Ganz gewiss nicht. Unsere Auftragsvergabe richtet sich nach bestimmten Qualitätskriterien. Und dazu gehören auch Mindestanforderungen an betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Ein nachgelagertes Kriterium ist übrigens der Preis. Wir zahlen weit, weit über den marktüblichen Preis. Dafür erwarten wir aber auch eine Leistung, die weit, weit über der marktüblichen liegt, beispielsweise deutsche und englische Sprachkenntnisse, Erste-Hilfe-Ausbildung, tadelloses Auftreten, höfliche Umgangsformen und exzellentes Kommunikationsverhalten, vom Sicherheits-Know-how mal ganz abgesehen.

 

Sind Sie denn dann die große Ausnahme? In beklemmender Regelmäßigkeit gibt es doch Berichte über Organisationen, die Sicherheitsaufträge vergeben, ohne an Sicherheit interessiert zu sein: In der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen liefen 2019 Wachleute Streife, die zur Firma eines Rechtsextremen gehören. Das Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten hat Bewachungsaufträge an Mitglieder eines kriminellen Netzwerks vergeben, ohne sich irgendeines Fehlers bewusst zu sein. Und gerade erst ist bekannt geworden, dass das Leipziger Hotel Westin nach Antisemitismus-Vorwürfen eines jüdischen Musikers ausgerechnet eine in die Neonazi-Szene verstrickte Sicherheitsfirma engagiert hatte, um das Hotel vor Demonstranten zu schützen.
Ohne Hintergründe zu den einzelnen Fällen zu kennen, ist davon auszugehen, dass hier der Preis das einzige Vergabekriterium war – und eine gewisse Ignoranz. Wer wenig zahlt, bekommt wenig bis gar keine Sicherheit und schädigt auf Dauer seine Reputation. Sicherheit muss Chefsache sein. Nur wenn der Chef Qualitätsdienstleistung wünscht, bekommt die Firma sie auch. Leider gibt es dabei oft zwei Hindernisse. Das eine: Sicherheit gehört nicht zum Kerngeschäft und liegt damit nicht im Fokus vieler Unternehmenslenker. Das zweite Hindernis: Sicherheit gilt oft als unproduktiver Kostenfaktor. Beim Marketing können Sie, vereinfacht gesagt, verfolgen, dass die Verkaufskurve steigt, wenn Sie einen bestimmten Werbespot schalten. Bei der Sicherheit kommt es im besten Fall zu keinem Ereignis – beispielsweise weil der Dienstleister seine Arbeit gut gemacht hat. Die Folge: Das Sicherheitsbudget sinkt, weil ja nichts passiert ist. Erfolgreiche Sicherheitsfirmen machen sich also sozusagen selbst überflüssig, zumindest aus der Perspektive der Entscheidungsträger. Da ist es dann wichtig, dass eine starke Persönlichkeit auf dem Stuhl des Sicherheitschefs sitzt. Am Ende profitieren davon alle, sowohl was die Sicherheit angeht als auch das Image.

 

Was ist dann mit all den Gestalten in Jogginghosen, die vor Supermärkten die Maskenpflicht durchsetzen sollen oder bei Events die Taschen kontrollieren? Geht es da nicht ums Image?
Vermutlich nicht, sondern wieder mal ums Geld. Man bekommt halt für wenig Geld Leute, die sich als Sicherheitsexperten verkaufen. Hier kommen wir zum nächsten Problem des Gewerbes: Die Einstiegshürden sind zu niedrig. Jeder kann auf seine Visitenkarte „Bodyguard“ oder „Close Protection“ schreiben und den §-34a-Schein vorzeigen. Die Sicherheitsbranche zieht ungelernte Kampfsportler und Türsteher an wie das Licht die Mücken. Die Leute können sich kaum artikulieren, aber problemlos ein Gewerbe anmelden. Das ist in anderen Berufen anders.

 

Wie sieht denn die Situation bei den großen und mittleren Sicherheits-Dienstleistern aus?
Naja, die werden sich Mitarbeiter in Jogginghosen kaum leisten, denn sie haben einen Ruf zu verlieren. Doch sie haben ein anderes Problem: Sie finden nicht genügend qualifizierte Mitarbeiter, obwohl sie ja inzwischen weitgehend über dem Mindestlohn zahlen. Da spielt dann doch das schlechte Image wieder eine entscheidende Rolle und darüber hinaus die Tatsache, dass das Sicherheitsgewerbe in Deutschland vermutlich das rückständigste in Sachen moderne Kommunikation ist.

 

Diese beiden Themen haben wir jetzt lange erfolgreich umschifft, das will ich nicht zunichtemachen. Es ist schlichtweg hoffnungslos. Aber können wir uns denn wenigstens Hoffnungen darauf machen, dass die Qualität in der Branche insgesamt wächst?
Wir haben einen heterogenen Markt. Die Billigheimer wird es immer geben, auch in der Nahrungsmittelbranche wird sich das Angebot weiterhin aus Bio und Konventionell zusammensetzen.

 

Was empfehlen Sie denn jungen Leuten, die in der Sicherheitsbranche Karriere machen, aber nicht in Jogginghosen enden wollen?
Ganz klar: Ausbildung, Weiterbildung und Spezialbildung. Da haben wir zum einen die klassischen Ausbildungsberufe und das Sicherheitsmanagement-Studium. Und zum anderen gilt es, sich in Spezialgebieten Know-how anzueignen, zum Beispiel Sprachen, Technik, Cybercrime-Abwehr. Die sollen mal eine Woche bei der IT-Sicherheitsabteilung reinschauen und eine Woche beim Krisenmanagement. Sie sollten Fachbücher lesen, Erfahrungen in unterschiedlichsten Firmen und im Ausland sammeln. Ich habe ungemein von meinen Auslandsaufenthalten profitiert, etwa in Jordanien, im Irak, Ukraine, Südafrika, Madagaskar, Kirgistan. Alles keine gemütlichen Fleckchen. Aber ausschließlich vom Discounter-Eingang in Castrop-Rauxel aus lässt sich eben keine Karriere in der Sicherheitsbranche aufbauen. Außerdem wäre es ratsam, die Dinge zu beherrschen, die im 21. Jahrhundert gängig sind. Wir hatten jüngst vielversprechende Bewerbungen für den Objektschutz auf dem Schreibtisch – vier von den sechs Bewerbern hatten keinen Führerschein. Solchen Leuten kann ich halt auch nicht mehr helfen. Und, ich erwähnte es schon: Man sollte die Sprache des Managements sprechen.

 

 

Im November erscheint Ihr Buch „Professionelles Sicherheitsmanagement für Unternehmen“. Welche Rolle spielen darin die Sicherheits-Dienstleister?
Das Thema zieht sich durch das gesamte Buch, das sich übrigens nicht an Profis richtet. Ich habe damit zwei Zielgruppen im Auge: zum einen junge Leute, denen ich komprimiertes Wissen aus der Praxis der Unternehmenssicherheit zur Verfügung stellen möchte, denn da gibt es in der Branche nicht viel Literatur. Die zweite Zielgruppe sind jene, die Quereinsteiger sind oder zum Beispiel zu ihren Safety- oder Risikomanagement-Aufgaben nun auch noch die Security hinzubekommen.