Veröffentlicht am: 27.06.2023
Tilman Rumland ist Gründer und Geschäftsführer der SafeNow GmbH in München.
SafeNow – „Hilfe vor Ort in unter zwei Minuten“
Tilman Rumland erklärt die Hilferuf-App „SafeNow“ und wie Sicherheits-Dienstleister davon profitieren können
Marktplatz Sicherheit: Herr Rumland, mitunter kann man den Eindruck gewinnen, dass der moderne Mensch die Fähigkeit verloren hat, jahrzehntelang eingeübte und bewährte Abläufe nur noch dann zu beherrschen, wenn ein Handy im Spiel ist. Das Produkt Ihres Unternehmens, eine Hilferuf-App, könnte ein Beispiel dafür sein. Wenn sich jemand in Gefahr befindet, kann er seit ewigen Zeiten die Notrufnummer 110 wählen – übrigens auch mit dem Handy – und ist direkt mit der Polizei verbunden. Bei Ihrer App drückt man auf einen Knopf, vermutlich eher „Button“ genannt, und ist dann mit einem Sicherheits-Dienstleister oder mit anderen potenziellen Helfern verbunden. Alter Wein in neuen Schläuchen?
Tilman Rumland: Nein. Zwar stimmen die Abläufe, die Sie geschildert haben. Aber die Idee hinter „SafeNow“ ist eine grundlegend andere. Wir stellen eine unkomplizierte Verbindung zu Helfern her, die direkt vor Ort sind. Diese sind meist nicht die Polizei. Die Polizei oder auch die Feuerwehr sind wichtige Institutionen, aber sie haben oft keine Chance, schnell genug eingreifen zu können, da sie nicht oder nicht schnell genug vor Ort sind. Für viele Menschen stellt es dazu eine große Hürde dar, den Notruf 110 zu wählen, selbst im Notfall.
Wie sind Sie eigentlich auf die Idee zu der App gekommen?
Die ursprüngliche Geschichte ist leider sehr hässlich: Meine damalige Freundin wurde Opfer eines sexuellen Übergriffs in der Damentoilette einer Diskothek. Später musste ich erschreckenderweise feststellen, dass am besagten Abend acht (!) Securities vor Ort waren, einer von ihnen Luftlinie sogar keine zehn Meter entfernt. Die konnten aber weder etwas sehen, da sie ein Stockwerk weiter oben standen, noch etwas hören, da es sehr laut ist in so einem Club. Die einzigen, die ihr in so einer Situation schnell genug hätten helfen können, wären eben die Sicherheitskräfte gewesen, ein Awareness-Team oder die Freunde, die mit ihr unterwegs waren. Diese Menschen hätten aber schnell erreichbar sein und dann genau wissen müssen, wo sie gebraucht werden. In einer solchen Situation gibt es keine Zeit für Erklärungen oder Telefonanrufe. So hatte sie keine Chance, relevante Hilfe zu bekommen. Dieses Ereignis war der Ursprung der App.
Da wir gleich auf die Einsatzmöglichkeiten für Sicherheits-Dienstleister zu sprechen kommen: Wie lässt sich die Problemstellung auf die Branche übertragen?
SafeNow kann überall dort sinnvoll eingesetzt werden, wo Menschen Sicherheits-Dienstleistungen erbringen. Beispiel Veranstaltungsschutz: Zwar ist die im Sicherheitskonzept für ein Rockkonzert vereinbarte Anzahl von Mitarbeitern am Einsatzort, aber niemand bemerkt, dass es in den Menschenmassen zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommt. Das Problem: Zwischen dem potenziellen Opfer und dem Sicherheitsdienst konnte bisher keine direkte Kommunikation erfolgen, sodass der oder die Betroffene keine unmittelbare Hilfe rufen konnte. Wie sollen auch die Sicherheitsleute davon wissen, wenn sie nicht direkt danebenstehen? Potenzielle Gefahrensituationen gibt es viele: Schlägereien, Drogen oder zu lange in der Sonne tanzen. Die Verabreichung von KO-Tropfen, Belästigungen, Groping oder andere Hässlichkeiten passieren mittlerweile auch immer häufiger. Da braucht es schnelle und direkte Lösungen, die etwas bewirken können.
Und die SafeNow GmbH hat für diese prekären Situationen nun eine helfende App-Lösung entwickelt. Können Sie mir kurz erklären, wie das funktioniert?
In so genannten SafeNow-Zonen können Menschen mit einem Knopfdruck das lokale Sicherheitspersonal alarmieren. Dazu können sie sich in der App auch privat vernetzen, egal ob sie sich in einer Zone befinden oder nicht. Um beim Thema Veranstaltungen zu bleiben: Zwei Frauen und vier Männer gehen zusammen auf ein Festival und machen in der App eine gemeinsame Gruppe auf. Somit sind nun alle Gruppenmitglieder in der Lage, einen lauten Alarm abzusenden, der sich auch über „Nicht stören“ und „Lautlos“ hinwegsetzt. Da es sich nicht um eine Standard-Textnachricht oder einen Telefonanruf handelt, ist allen in der Gruppe sofort klar, dass es ernst ist, und sie wissen sofort, wer und wo ihre Hilfe benötigt. Falls das Festival jetzt auch ein SafeNow-Partner ist, wird der Gruppe zusätzlich in der App angezeigt, dass auch professionelle Helfer vor Ort direkt für sie erreichbar sind. Das passiert innerhalb einer SafeNow-Zone ganz automatisch, ohne sich aktiv irgendwo einloggen zu müssen.
Es ist dann auch auf einen Blick erkennbar, wo genau die Hilfe benötigt wird?
Genau, deshalb kommt die Hilfe ja oftmals in weniger als zwei Minuten und teils sogar binnen weniger Sekunden. Der Sicherheitsdienst kann den Hilfesuchenden im Notfall praktisch auf den Meter genau lokalisieren. GPS ist heutzutage schon sehr fortgeschritten, aber kann mir nicht sagen, ob der Hilfesuchende sich im zweiten oder fünften Stock befindet. Gebäude oder Areale können hierfür zusätzlich mit Bluetooth-Sendern („SafeNow Beacons“) ausgestattet werden und ermöglichen so eine Verortung auf Stockwerk und Zimmer genau. So wird unter Beachtung der Privatsphäre nicht nur jeder letzte Winkel, zum Beispiel einer Tiefgarage, zu einem gefühlt sicheren Ort, sondern auch jede Toilette. Hierfür muss natürlich der Sicherheitsdienst auf unsere Infrastruktur zurückgreifen können. Die Besucherinnen und Besucher benötigen die – für sie kostenfreie – App auf ihrem Smartphone.
Bahnhöfe als klassische Angsträume für viele Menschen sind sicherlich das ideale Einsatzfeld für SafeNow. Kein Wunder, dass Sie auch die Deutsche Bahn für ein Pilotprojekt gewinnen konnten. Wie läuft’s da?
Sie sprechen vom Pilotprojekt am Bahnhof Südkreuz in Berlin. Zusammen mit der Deutschen Bahn und der Bundespolizei wollten wir herausfinden, wie sich der Einsatz der App auf die Mitarbeiter vor Ort, das Sicherheitspersonal und die Fahrgäste auswirkt. So wurde der Bahnhof, auf dem täglich rund 180.000 Fahrgäste unterwegs sind, in eine SafeNow-Zone verwandelt. Das Projekt wurde von einem wissenschaftlichen Institut begleitet, um die Ergebnisse in einer Studie festzuhalten. Diese Ergebnisse sind bemerkenswert: Die direkte Kommunikationsmöglichkeit zwischen Reisenden und Sicherheitspersonal per App wurde als sehr vorteilhaft beschrieben. Mitarbeiter des Sicherheitspersonals schildern, dass sie auf sicherheitsrelevante Vorkommnisse adäquat reagieren und bedarfsgerechte Unterstützung leisten können. Die Zufriedenheit über die schnelle Reaktionszeit ist ihnen auch von den hilfesuchenden Personen zurückgespiegelt worden, und dies habe zu angenehmen Interaktionen und Freude bei der Arbeit beigetragen. Die Effekte der App wurden dabei einerseits als Arbeitserleichterung beschrieben, andererseits als Verbesserung der Qualität der eigenen Arbeit und damit auch als Mittel, das die Zufriedenheit mit dem eigenen beruflichen Handeln und die Selbsteffizienz im Dienst erhöhen kann.
Ein paar Zahlen?
Während des Testzeitraums wurden insgesamt 43 Alarme über die App ausgelöst, angenommen, bearbeitet und dokumentiert. Zwischen 21. Juli und 21. Oktober 2022 gingen wöchentlich zwischen einem und sechs Alarmmeldungen ein, durchschnittlich drei pro Woche. Das Sicherheitspersonal nahm alle 43 eingegangenen Alarmmeldungen an, in 39 Fällen konnte die hilfesuchende Person angetroffen und Unterstützung geleistet oder die Situation geklärt werden. Dabei wurde ein breites Spektrum von Vorfällen bearbeitet, das von Verstößen gegen die Hausordnung, etwa durch Betteln oder aggressives Verhalten, Diebstahl in den Geschäften im Bahnhof, verbale Angriffe und Bedrohungen gegen DB-Mitarbeiter bis zu Körperverletzung und Suizidversuchen reichte. Das Sicherheitspersonal war in durchschnittlich 2:36 Minuten vor Ort und konnte die Gefahrensituation beheben. Anhand dieses Projekts ist erkennbar, welches Potenzial SafeNow Sicherheits-Dienstleistern bietet. Außerdem gaben 94 Prozent der befragten App-Nutzerinnen und -Nutzer an, dass sie sich mit der SafeNow-App am Bahnhof sicherer oder sogar sehr viel sicherer gefühlt haben. Eine unfassbar große Zahl.
Welche Anwendungsfelder neben den bereits genannten wären noch denkbar?
Als Ergänzung zu bestehenden Sicherheitskonzepten ist die App bereits in Hotels, auf Firmenarealen, in Clubs, ÖPNV, Veranstaltungsstätten und Festivals erfolgreich im Einsatz. Zudem bekommen wir zurzeit Anfragen von Universitäten, Krankenhäusern, öffentlichen Parks, Flüchtlingsheimen, Schwimmbädern, Freizeitparks, Fußballstadien etc. Gerade auf einem großem Gelände bedeutet das ein erhebliches Sicherheitsplus. Es ist ja nicht möglich, zum Beispiel im Münchner Olympiapark, jeden Quadratmeter zu überwachen. Da haben Sie vor allem in der Nacht keine Chance, eine vernünftige Abdeckung zu gewährleisten. Sie können aber natürlich allen Besuchern des Parks nahelegen, dass für sie 24/7-Einsatzkräfte vor Ort sind, die auf Knopfdruck sofort bei ihnen sind, wenn sie das möchten. So manches Event ist in den vergangenen Monaten abgesagt worden aufgrund von Fachkräftemangel. Mit der App kann man mit der gleichen Anzahl an Sicherheitskräften mehr Fläche abdecken.
Die technische Kompetenz ist ja heute eine der wenigen Möglichkeiten, mit der sich ein Sicherheits-Dienstleister jenseits vom nach wie vor beliebten Preisargument vom Wettbewerb absetzen kann. Der „Marktplatz Sicherheit“ hat das jüngst an den Beispielen Drohnen und Künstliche Intelligenz deutlich gemacht. Ihre App wäre jetzt wohl das nächste Beispiel?
Absolut. Sowohl bei Ausschreibungen für neue Aufträge als auch bei der Sicherung von Bestandsaufträgen kann SafeNow den Unterschied zum Wettbewerb machen. Das macht die App sehr attraktiv, nicht nur für große Unternehmen und Mittelständler, sondern auch für kleinere Dienstleister. Denn eine Investition in unsere Infrastruktur ist bei weitem nicht so umfangreich wie bei anderen technischen Lösungen. Das Interesse unter Deutschlands Sicherheits-Dienstleistern ist jedenfalls groß.
Wie finanzieren Sie sich?
Die App ist und bleibt für die Nutzer kostenfrei. Es gibt keine Werbung, und wir verdienen auch kein Geld mit persönlichen Daten. Das ist uns sehr wichtig. Wir finanzieren uns ausschließlich durch Partner, die ihren Gästen ein sicheres Gefühl auf ihrem Gelände bieten möchten. Auf diese Weise leisten Partner wie ProSiebenSat.1, der Breidenbacher Hof, das Wannda Festival oder andere einen direkten Beitrag dazu, dass beispielsweise ein Frauenhaus in der Türkei die App in ihrer Landessprache und komplett kostenlos mit Freunden und Familien nutzen kann. Unsere Vision ist, Sicherheit für alle Menschen auf der Welt frei zugänglich zu machen. Und da sind wir auf einem guten Weg.