Veröffentlicht am: 02.03.2020

Interview: Marcus Heide
Foto: BDSW

Kirsten Wiegand
Kerstin Wiegand ist beim Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) zuständig für das Thema Forschung.

„Verlässliche Orientierungs- und Entscheidungshilfen“

Marcus Heide im Interview mit
Kirsten Wiegand · zuständig für das Thema Forschung beim Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW)

Kirsten Wiegand erläutert im Interview, was es mit dem wissenschaftlichen Sicherheitsprojekt „OSiMa“ auf sich hat

Wenn jemand im Baumarkt einen Dübel kauft – ist dann davon auszugehen, dass es sich bei dem Käufer um einen kompetenten Handwerker handelt? Natürlich nicht. Kaum anders verhält es sich bei jenen, die Sicherheits-Dienstleistungen einkaufen. Bei vielen von ihnen, das zeigt die Praxis, ist davon auszugehen, dass sie sich zuerst für den Preis, dann für den Preis und dann für den Preis interessieren – ganz besonders wenn sie aus Politik oder Behörden stammen. Fachwissen? Qualitätsanspruch? Pustekuchen!

Reines Klischee, lauter Vorurteile? Den Einwand könnte man gelten lassen, wenn es da nicht das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt OSiMa („Die Ordnung des Sicherheitsmarktes in Deutschland“) gäbe. Das nämlich wurde eigens ins Leben gerufen, um Führungskräften in Politik, regulierenden Behörden und in Unternehmen zu erklären, wie Sicherheits-Dienstleistung „geht“.

Natürlich wird das auf der Projekt-Website https://sicherheitsmarkt.org vornehmer ausgedrückt: In diesem Verbundvorhaben werde „analysiert, welche Formen von Schutzleistungen bestehen und wie diese organisiert und finanziert werden sollen. Dabei geht es insbesondere darum, darzulegen, welchen Beitrag aus ordnungspolitischer Sicht die private Sicherheitswirtschaft leisten kann. Ziel ist es, den Rahmen zu beschreiben, innerhalb dessen neue Dienstleistungen und Organisationsformen von Schutz und Sicherheit durch die Sicherheitswirtschaft entstehen können.“

Nötig wäre das nicht zwangsläufig, wenn sich die genannten Führungskräfte mit dem auskennen würden, was sie da einkaufen. Also spricht allein die Tatsache, dass es dieses Projekt gibt, dafür, dass es große Wissenslücken gibt. Diese schließen zu wollen, ist immerhin eine lobenswerte Absicht.

Spätestens Ende Februar soll die entsprechende Informationsplattform online gehen. Wie es dann mit der Praxisrelevanz aussieht, bleibt abzuwarten, vor allem wenn man sich Verheißungen wie diese zu Gemüte führt: „Die Entwicklung eines mehrdimensionalen Kriterienmodelles und Kategorisierungsschemas sowie eines interdisziplinären Prüfschemas wird (…) eine Entscheidungshilfe anbieten.“ Wer kann einer solchen Versuchung widerstehen…?

Einer der OSiMa-Projektteilnehmer ist der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW). „Marktplatz Sicherheit“ sprach mit Kirsten Wiegand, die dort das Thema Forschung verantwortet.

Marktplatz Sicherheit: Frau Wiegand, der Begriff „OSiMa“ geistert schon seit einiger Zeit durch die Welt der Sicherheits-Dienstleistung. Zwar gibt es auch eine Website dazu. Doch man muss schon viel Fantasie aufbringen, um aus den verschwurbelten Erläuterungen erahnen zu können, worum es dabei geht. Was ist beispielsweise um Himmels willen ein „Verbundvorhaben“?

Kirsten Wiegand: Ein Verbundvorhaben beschreibt im Rahmen der Forschungsförderung durch das BMBF die Zusammenarbeit verschiedenster Akteure, beispielsweise von wissenschaftlichen Institutionen, Unternehmen und Verbänden, in einem Forschungsprojekt. Dies war auch bei OSiMa der Fall. Das Projekt wurde im Rahmen des zivilen Sicherheitsforschungsprogramms der Bundesregierung gefördert. Beteiligt waren neben dem BDSW weitere fünf Verbundpartner: das Brandenburgische Institut für Gesellschaft und Sicherheit (BIGS) als Verbundkoordinator, die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), die Friedrich-Schiller-Universität in Jena, die Universität Potsdam und Fraunhofer FOKUS. Der BDSW hatte dabei, neben der Ausarbeitung eigener Analysen, unter anderem die Aufgabe, den Kontakt und den Austausch seiner Verbundpartner mit seinen Mitgliedsunternehmen zu ermöglichen. Auf diese Weise war auch der Praxisbezug der Forschung sichergestellt.

Worum genau geht es bei OSiMa – in allgemeinverständlichen Worten?

Letztlich haben wir in den vergangenen drei Jahren versucht, alle Daten und Fakten zu sammeln, und diese dann in Analysepapieren sowie umfangreicheren Publikationen aufbereitet. Diese stellen dar, unter welchen Voraussetzungen private Sicherheits-Dienstleister Sicherheit in Deutschland herstellen können und dürfen. Berücksichtigt wurden dabei juristische, betriebswirtschaftliche, verwaltungswissenschaftliche, volkswirtschaftliche und technische Aspekte. Die Projektergebnisse werden auf der ebenfalls im Rahmen des Projekts entwickelten Internet-Plattform „Infoportal Sicherheitsdienstleistungen“ (www.infoportalsicherheit.de) veröffentlicht, auf der sich jeder Interessierte dann ab Ende Februar umfassend und gezielt über für ihn relevante Aspekte und Fragestellungen informieren kann.

Nennen Sie bitte für die genannten Aspekte Beispiele.

Natürlich können Ihnen hier die für die jeweilige Perspektive zuständigen Verbundpartner noch detailliertere Angaben machen, aber ich gehe gerne auf einige Beispiele ein. Zum einen ist da der Rechtsrahmen: Welche Eingriffsrechte haben Sicherheitsmitarbeiter? Unter welchen Bedingungen dürfen sie Schusswaffen tragen? Der verwaltungswissenschaftliche Aspekt ist vor allem für Politik, Behörden und Polizei interessant, beispielsweise wenn es künftig darum geht, weitere Sicherheitsaufgaben an Unternehmen zu übertragen. So könnte man zum Beispiel die Frage stellen, ob es, wie in den USA, möglich wäre, Justizvollzugsanstalten komplett zu privatisieren. Zu den bisherigen Teilprivatisierungen auf diesem Gebiet gibt es im Ländervergleich ja unterschiedliche politische Ansichten. Betriebswirtschaftliche Aspekte wiederum, die zu den Schwerpunkten der BDSW-Mitarbeit gehört haben, können natürlich zunächst für Unternehmen besonders interessant sein: Also, ab wann lohnt es sich, eine bestimmte Dienstleistung anzubieten? Dazu muss man sich ja eine Vorstellung vom Aufwand und den Kosten machen, die bei der Erbringung der Dienstleistung anfallen: Personal, Technik, Verwaltung usw.


Sind denn solche Selbstverständlichkeiten wirklich notwendig?

Diese „Selbstverständlichkeiten“, wie Sie sie nennen, machen, wie gerade erläutert, ja nur einen Teil der zusammengetragenen Informationen beziehungsweise wissenschaftlichen Perspektiven aus. Aber unabhängig davon wissen Sie auch, dass es durchaus neue Firmengründer in der Branche geben kann, die mit diesen Grundlagen der Betriebswirtschaft nicht in allen Details Erfahrung haben und bei der Angebotskalkulation zwar die Personalkosten darstellen. Aber Themen wie ein dem jeweiligen Auftrag angemessener Versicherungsschutz, mittel- und langfristiger Qualifizierungsaufwand oder Overhead werden dann vielleicht nicht ausreichend berücksichtigt. Und es ist ja ein Unterschied, ob ich nun für die Sicherheitskontrollen beim Open-Air-Konzert kalkuliere oder für die Passagier- und Gepäckkontrollen an Flughäfen: Welche Anforderungen stellen Veranstalter, welche die Bundespolizei? Welche Besonderheiten sind bei den Kontrollen an Flughäfen zu beachten? Welche Qualifizierungen müssen jeweils nachgewiesen werden? Solche Informationen werden auf dem Portal abrufbar sein. Es geht schlichtweg um verlässliche Orientierungs- und Entscheidungshilfen. Aber Sie haben natürlich insofern Recht, als die meisten kompetenten Unternehmer diese betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge kennen, für die aber wiederum zum Beispiel verwaltungswissenschaftliche Fragestellungen neu und interessant sind. Und dann gibt es natürlich noch andere Akteure, die am Thema private Sicherheits-Dienstleistungen beteiligt sind, ohne ausgewiesene Experten in Bezug auf die betriebswirtschaftlichen Erwägungen eines Unternehmens zu sein. Denken Sie doch nur an die Auftraggeber der Sicherheitsfirmen oder auch an Politiker. Auch an sie richtet sich unser Portal.

Bisher haben wir nur darüber gesprochen, dass OSiMa den Status quo der Sicherheits-Dienstleistung beschreibt. Geht es auch um einen Ausblick und Zukunftsperspektiven?

Selbstverständlich befassen wir uns auch mit den Einsatzmöglichkeiten, die hier zu Lande noch nicht ausgeschöpft sind. Komplett privat betriebene Gefängnisse habe ich schon genannt. Auch in Sachen Beleihung und Verwaltungshilfe gibt es verschiedene Ansätze, über die zumindest zu diskutieren wäre, etwa rund um kommunale City-Streifen: Sollen sie Platzverweise aussprechen oder die Personalien feststellen dürfen? Bei der Überwachung des ruhenden und fließenden Verkehrs sind Private schon im Einsatz, aber auch hier existieren keine bundeseinheitlichen Regelungen – wie könnten Modelle aussehen, die überall praktikabel wären? Ein wichtiger Themenkomplex ist auch die Technik: Wie wird die Digitalisierung die Sicherheits-Dienstleistung verändern? Drohnen, elektronische Zutrittskontrolle, Gesichtserkennung, Verhaltens-Profiling – das kann die Aufgabenerledigung von Sicherheitsmitarbeitern vereinfachen, vielleicht diese auch zum Teil ersetzen. Und wie weit könnten einzelne Entwicklungen theoretisch gehen, Stichwort: China?

Glauben Sie, dass die aus OSiMa folgende Plattform für die Praxis der Sicherheits-Dienstleistung in Deutschland echte Relevanz gewinnt?

Davon bin ich überzeugt, denn wir berücksichtigen tatsächlich die Fragestellungen aller Akteure der privaten Sicherheitswirtschaft: Unternehmer, Auftraggeber, Behörden, Politiker.

Wie sieht es denn mit denen aus, die die Mehrzahl der „Akteure“ darstellen: die Wachleute. Werden die sich auch dafür interessieren?

Warum nicht? Wer den Beruf ergreifen möchte, kann sich auch auf diesem Portal informieren, etwa über die Bandbreite der Tätigkeiten und darüber, welche Anforderungen zu erfüllen sind, wenn man in diesem Bereich arbeiten will. Auch hier gilt: Orientierungs- und Entscheidungshilfe.

Nichts ist schlimmer als eine Website, auf der nichts passiert…

Der BDSW wird das Portal betreiben und pflegen. Es ist so aufgebaut, dass wir auf neue Entwicklungen eingehen, die Analysen um weitere Sicherheits-Dienstleistungen ergänzen oder auch themenverwandte Beiträge einstellen können. Und wir nehmen hier auch gerne weitere Anregungen auf.