Veröffentlicht am: 19.04.2023
Cornelius Toussaint ist Geschäftsführer der CONDOR Schutz- und Sicherheitsdienst GmbH in Essen. Darüber hinaus leitet er den Fachausschuss „Drohnen“ im Bundesverband der Sicherheitswirtschaft e. V. (BDSW).
„Weder Amazon noch die Feuerwehr setzen Drohnen im Regelbetrieb ein“
Cornelius Toussaint kontert den Vorwurf der mangelnden Innovationsfähigkeit des Sicherheitsgewerbes und spricht über die Chancen von Drohnen und Künstlicher Intelligenz
Marktplatz Sicherheit: Herr Toussaint, niemand würde das Sicherheitsgewerbe ernsthaft als Innovationstreiber bezeichnen. Das gilt auch für den Einsatz von Technik. Lange genug hat es gedauert, bis die Videoanalyse in den Leitstellen Einzug hielt, und die Zahl der hier eingesetzten unterschiedlichen Empfangs- und Übertragungsprotokolle ist bei vielen Firmen längst nicht ausgereizt. Die ersten auch für Privatnutzer käuflichen Drohnen gibt es seit 2012. Schnell ist klar geworden, dass sich diese Vorrichtungen bestens auch für das Geschäftsfeld Sicherheits-Dienstleistung eignen würden. Nach also über zehn Jahren gibt es nun im BDSW einen Fachausschuss. Mit dieser Innovationsgeschwindigkeit in der IT-Industrie würden wir Telefonnummern vermutlich heute noch über die Wählscheibe wählen.
Cornelius Toussaint: Wenn Sie Tacheles reden, dann tue ich das auch. Was genau kritisieren Sie eigentlich? Amazon träumt ebenfalls seit Jahren von Drohnen als Paketlieferanten. Und? Sehen Sie Drohnenschwärme mit Paketen auf dem Rücken über den Großstädten dieser Welt? Auch die Feuerwehr steht in den Startlöchern, kommt aber letztlich nicht flächendeckend weiter als über die Befliegung in Sichtweite der Piloten. Es bestehen gute Gründe dafür, warum das so ist, beispielsweise die Regularien für die bemannte Luftfahrt, die auch für Drohnen relevant sind. Es gibt schlichtweg bisher keine rechtliche Freigabe dafür, wie ein solcher Drohnenverkehr, ob über bewohntem oder unbewohntem Gebiet, automatisiert und ohne Sichtverbindung ablaufen soll – ob nun für die Postauslieferung, die Bewachung oder die Alarmverfolgung. Niemand wirft das Amazon vor. Aber dem Sicherheitsgewerbe werfen Sie pauschal Innovationsträgheit bzw. -unfähigkeit vor.
Die Argumentation ist schlüssig. Dennoch müssen Sie sich mit der Kritik auseinandersetzen, da sie ja auch von ihren Kunden kommt. Der Sicherheitschef eines großen Logistikkonzerns kündigte vor der Pandemie an, Sicherheits-Dienstleister bald großflächig durch Technik zu ersetzen, wenn sie nicht mit der Zeit gehen. Und im Interview mit „Marktplatz Sicherheit“ prophezeite Alexander Krause, Deputy Security Manager für Nord- und Osteuropa und den Mittleren Osten für Siemens Gamesa Renewable Energy, im vergangenen Februar, dass das Sicherheitsgewerbe bald von Branchenfremden getrieben werde. Das kann Sie doch nicht kalt lassen.
Selbstverständlich setzt sich unsere Branche mit solchen Aussagen auseinander. Daher bin ich der Meinung, dass wir uns insgesamt in Sachen Technik nicht verstecken müssen. Technik spielt in der Bewachung seit vielen Jahren eine wichtige Rolle. Ihre Bedeutung wird angesichts steigender Herausforderungen an Sicherheitskonzepte und vor dem Hintergrund des demografischen Wandels nicht nur im oft erwähnten Fachkräftebereich immer größer. Aber natürlich werden viele Firmen nicht mitmachen, weil sie es sich nicht leisten können oder wollen. Je größer ein Sicherheits-Dienstleister ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er technische Lösungen anbieten kann. Letztlich hängt es aber nicht allein von der Größe, sondern im Wesentlichen von der Weitsicht und der Innovationsfähigkeit des Managements ab, ob Technologie auch Teil des eigenen Geschäftsmodells wird. Und natürlich darf auch nicht vergessen, dass der Auftraggebende ebenfalls bei der Entscheidung über den Einsatz von Technik ein wichtiges Wort mitzureden hat.
…und sich dann lieber direkt mit dem Technikanbieter ins Benehmen setzt?
Ich bin mir ganz sicher: Technikfirmen werden unseren Job ganz bestimmt nicht besser erledigen als wir selbst. Das sehen wir seit Jahrzehnten bei den Notruf- und Serviceleitstellen, in denen branchenfremde Unternehmen nur Teile des Alarm- und Interventions-Workflows beherrschen. Oftmals kooperieren die von ihnen angesprochenen Unternehmen spätestens in der praktischen Umsetzung mit lokalen Sicherheits-Dienstleistern, weil wir vor Ort sind, die Region kennen und ganz einfach auch qualifizierte Mitarbeiter vor Ort haben, die die Konzepte umsetzen und regelmäßig mit den Auftraggebenden feinjustieren können.
Bleiben wir bei den Drohnen. Für kriminelle Zwecke werden sie ja längst eingesetzt. Kein Wirtschaftsspion steckt noch einen USB-Stick in die Unterhose, sondern lässt ihn per Drohne abtransportieren, da helfen auch die modernsten Zäune nichts. Und Jammer, wie man sie beispielsweise in Strafvollzugsanstalten findet, sind für großflächiges Gelände auch nicht wirtschaftlich. Haben die Kriminellen also einen Vorteil?
Das ist gar nicht die zentrale Frage. Vielmehr muss über die genannten Regularien entschieden werden. Wir haben beispielsweise ein Drohnensystem von Nightingale Security angeschafft, das allerdings für den regelmäßigen Flug außerhalb der Sichtlinie („Beyond Visual Line of Sight“, BVLOS) erst von der Luftfahrtbehörde freigegeben werden muss. So etwas dauert. Und weil wir in Deutschland sind, dauert es auch noch ein bisschen länger. Aber es ist doch auch richtig, dass vor dem Einsatz erst rechtliche Lösungen gefunden werden müssen, um beispielsweise Unfälle zu vermeiden. Wie ist zu verhindern, dass die Drohne abstürzt und Menschen verletzt? Wer haftet für Personen- und Sachschäden? Auch der Datenschutz ist zu klären: Welche Bilder darf die Drohnenkamera aufnehmen und welche nicht? Das sind alles Fragen, deren Beantwortung nicht etwa das Sicherheitsgewerbe mangels Innovationsfreude hinauszögert, sondern das liegt in der Verantwortung von Politik und Verwaltung – und auch ein stückweit der ganzen Gesellschaft. Wenn das alles gelöst ist, dann wird es auch genügend Anwendungen in der Sicherheitsbranche geben, beispielsweise rund um Kritische Infrastrukturen, auf deren Sicherheitsagenda ja auch der Schutz vor Drohnen steht. Dann wird es vielleicht nicht die Polizei sein, die den Jammer betreibt, sondern eine Condor-Sicherheitsfachkraft. Und so manche Alarminterventionsfahrt, die heute mit zwei Mitarbeitenden per Auto erledigt wird, ist dann die Sache einer Drohne. Das heißt aber auch: Man muss investieren – in Technik und geschultes Personal. Und man muss auch die eigene Organisation vom Vertrieb, über die interne Technikabteilung bis zum Leitstellen- und Interventionspersonal neu ausrichten. Das kann sich dann schnell auf einen sechs- bis siebenstelligen Betrag summieren.
Condor befasst sich seit einiger Zeit auch mit dem Thema Künstliche Intelligenz (KI). Viele Anbieter von Videotechnik vermarkten ihre Lösungen ja bereits als KI-getrieben, obwohl es sich in vielen Fällen tatsächlich um nicht mehr als ein bisschen aufgemotzte Videoanalyse handelt, die wir seit über 20 Jahren kennen. Welche Chancen erwarten Sie sich für das Sicherheitsgewerbe?
Bei KI im Zusammenhang mit unserer Branche geht es zunächst einmal um die nutzbringende Einbindung von Prognosen, die darauf beruhen, dass KI „lernt“. Nehmen wir das Beispiel Personenkontrollen in der Luftsicherheit, bei der es ja von Interesse ist, das Sicherheitspersonal zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben. Die Zahl und die Art der Passagiere unterscheiden sich bekanntlich stark mit Blick auf Uhrzeiten, Wochentage und Monate. Während der Schulferien sieht man Menschenmassen im ganzen Flughafen, wochentags gibt es mehr Geschäftsleute, bei religiösen Feiertagen werden bestimmte Flugstrecken überdurchschnittlich frequentiert. Das kann natürlich auch heute schon manuell beziehungsweise über die langjährige Erfahrung und Einschätzungen der Planungsmitarbeiter berücksichtigt werden. Mit KI erreichen wir eine neue Qualität in einer unvorstellbar kurzen Zeit. Die KI kann nicht nur Ferientermine berücksichtigen, sondern auch Messekalender und womöglich Wettervorhersagen. Auf Basis der Lernfähigkeit könnte es dann sein, dass sie für den Flughafen Düsseldorf zusätzlich fünf Luftsicherheitsassistenten vorschlägt, wenn die Eröffnung der „Security“ in Essen ansteht sowie gleichzeitig Sonnenschein und spätsommerliche Temperaturen vorausgesagt werden. Als Mensch hat man einfach nicht alles auf dem Schirm. Die KI dagegen kann binnen Sekunden eine riesige Zahl von Alternativen und Parametern verarbeiten.
Sicherlich ist KI grundsätzlich für die Personaleinsatzplanung geeignet?
Unbedingt. Nehmen wir wieder ein Beispiel, etwa aus dem mobilen Einsatz. Für die Funkstreife sind von Montag bis Freitag um 10 Uhr für An- und Abfahrt zur Firma X je 15 Minuten geplant zuzüglich 30 Minuten für die Kontrolle. Wünscht der Kunde den Einsatz künftig schon um 8 Uhr, wäre der Berufsverkehr einzukalkulieren. KI würde einfach die Verkehrsmeldungen checken und dann womöglich noch den Feuerwehreinsatz berücksichtigen, der auf der Strecke zu Staus führt. So etwas hilft bei der Einsatzplanung und der operativen Steuerung enorm – und ist am Ende auch relevant für die Preiskalkulation. Das alles ist jetzt keine technische Revolution, aber doch ein Baustein für die einzelne Sicherheitsfirma, um sich vom Wettbewerb abzuheben.
Wie profitieren eigentlich die Mitarbeiter davon? Müssen sie nicht befürchten, von der Technik ersetzt zu werden?
Das sehe ich nicht. Wie alle anderen Branchen sucht auch die Sicherheitswirtschaft bundesweit Personal. Sicherheits-Dienstleistung wird immer einen hohen personellen Anteil haben. Die Attraktivität für die Mitarbeiter liegt aber darin, dass die Interventionskraft sich zum Drohnenpiloten qualifizieren kann und dann möglicherweise einen höheren Lohn erzielt und der Job insgesamt interessanter wird. Am Ende ist der Einsatz moderner Technik für alle Beteiligten ein Gewinn.