Veröffentlicht am: 10.07.2020
Interview: Marcus Heide
Foto: Martin Braun
Martin Braun
Martin Braun ist Inhaber von BE SAVE Sicherheit & Service im baden-württembergischen Albstadt
„Wir hatten die Lösungen, noch bevor die Kunden wussten, dass sie sie brauchen“
Marcus Heide im Interview mit
Martin Braun · Inhaber von BE SAVE Sicherheit & Service im baden-württembergischen Albstadt
Die Corona-Krise als Chance für mittelständische Sicherheits-Dienstleister – Martin Braun von BE SAVE im Exklusivinterview mit Marcus Heide über Erfahrungen und Lehren aus den vergangenen Monaten
Marktplatz Sicherheit: Herr Braun, es ist erfrischend, wenn man derzeit Ihre Website besucht. Während alle Welt pandemiebedingt mit „Bleib‘ zu Hause“ zu Passivität und Stubenhockertum aufruft, bieten Sie explizit eine Alternative an, die nicht an Bequemlichkeit und Fatalismus appelliert: „Bleib‘ zu Hause oder pack‘ mit an!“ Ist ja unerhört, dass Sie einfach am Ball bleiben und sich nicht mit Umsatzausfall zufriedengeben wollen. Kommt denn das Sicherheitsgewerbe einfacher durch die Corona-Krise als andere?
Martin Braun: So absolut lässt sich das nicht bejahen. Beispielsweise Hotels und die Event-Branche sind von Corona sicherlich weit mehr betroffen als wir. Doch auch Sicherheitsfirmen mit einem großen Anteil an Event Security wurden natürlich enorm gebeutelt – und werden es noch. Bei BE SAVE hat das Geschäft immerhin 30 Prozent des Umsatzes ausgemacht. Der ist im vergangenen März praktisch von einem auf den anderen Tag flöten gegangen.
Und doch stehen Sie jetzt, da die Corona-Krise abzuflauen scheint, sogar besser da, als Sie es ohne Krise erwartet haben. Sie beschäftigten Anfang des Jahres rund 100 Mitarbeiter, wollten zusammen mit den Event-Aufträgen auf 120 kommen und haben heute ohne Event-Geschäft 140. Wie kam es dazu?
Unser Event-Geschäft versprach Anfang des Jahres ein fantastisches 2020. Dazu gehörten Sicherheitsaufträge beispielsweise für die in unserer Region ausgerichteten Spiele der 1. Bundesliga im Handball und Basketball. Auch für die hiesige Road Show der AOK wären wir im Einsatz gewesen, außerdem für Stadtfeste, Festivals und jede Menge anderer Open-Air-Veranstaltungen. Gute Umsätze, tolle Referenzen und Spaß bei der Arbeit. Als sich dann im Februar die Corona-Nachrichten verdichteten, haben wir gleich Kontakt mit unseren Event-Kunden aufgenommen und nach möglichen Planänderungen gefragt. Doch es herrschte zu diesem Zeitpunkt noch große Unsicherheit – man wartete auf Infos von Bund, Land und Kommunen. Anfang März trudelten die ersten Absagen ein. Und um den 10. März herum war unser Event-Geschäft auf – Null.
Haben Sie nie daran gedacht, Stornorechnungen zu verschicken?
Nein – das wäre nicht in unserem Interesse und auch nicht in dem der Kunden gewesen. Denn auch auf Kommunen, Vereine und gewerbliche Veranstalter kamen ja große Probleme zu. Wir saßen – und sitzen – alle in einem Boot. Wo es möglich war, haben wir die Verträge aufrechterhalten und uns die Zusagen eingeholt, dass die Aufträge nicht aufgehoben, sondern nur verschoben werden.
Wie fühlt man sich als Unternehmer, wenn sich der sichere Umsatz plötzlich in Luft auflöst?
Als Unternehmer sollte man sich nicht lange im Schockzustand einrichten. Ich selbst habe mich am 15. März mit meinem Führungsteam im Büro zum Brainstorming und zur Strategieentwicklung sozusagen verbarrikadiert. Wie meistern wir die Situation am besten – mit Blick auf die Firma und die Mitarbeiter? Welche Ressourcen aus den abgesagten Events stehen unvorhergesehen zur Verfügung? Welche mutmaßlichen Bedarfe würden sich aus der aktuellen Lage bei Kunden ergeben? Wer könnte potenzieller Neukunde sein? Kompetenten Sicherheits-Dienstleistern, die die Corona-Situation nüchtern analysiert haben, musste es sofort dämmern, dass Kontakt- und Besuchsverbote vor allem Branchen mit hohem Publikumsverkehr treffen. Restaurants, Hotels und Museen lassen sich schließen – Krankenhäuser und Pflegeheime nicht. Folglich würde es Zugangskontrollen und weitere zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen geben müssen – und damit mit Blick auf den dort herrschenden Personalmangel ein Geschäftsfeld für uns. Bis in die Nachtstunden haben wir noch am selben Tag ein Sicherheits- und Servicekonzept für diese Einrichtungen erarbeitet. Wir hatten die Lösungen quasi parat, noch bevor unsere potenziellen Kunden wussten, dass und in welchem Umfang sie sie überhaupt benötigen würden.
Wie lange hat es gedauert, bis sich der Erfolg eingestellt hat?
Es war unglaublich: Am 15. März haben wir die Konzepte erstellt, sie am nächsten Tag den regionalen Kliniken und Heimen vorgelegt – und prompt zwei Zusagen erhalten. Am 17. März waren unsere ersten Leute im Einsatz!
Wie sahen die Aufgaben aus?
Es ging um Zutrittskontrolle und Patientenakkreditierung in eigens aufgebauten Zelten vor den Kliniken. Besucher wurden – mit fest definierten Ausnahmen – abgewiesen. Reguläre Patienten mit Voranmeldung durften passieren, potenzielle Corona-Patienten durch einen separaten Eingang. Wir hatten dazu zusammen mit den Kliniken einen Mini-Fragebogen entwickelt. Zugleich hatten wir Kollegen aus anderen Branchen mit ins Boot geholt, die durch die Event-Absagen über freie Kapazitäten verfügten, etwa Messe- und Zeltbauer oder Veranstaltungstechniker für Heizung, Licht und digitale Informationssysteme. Und ein umfassendes Infektionsschutz-Konzept mit Ausrüstung, Technik und strengen Verhaltensregeln für unsere Mitarbeiter gab es ebenfalls.
Wie haben Sie die Preise kalkuliert?
Es gab Paketangebote, meistens wochenweise. Diese umfassten Volldienstleistungen, also nicht nur Sicherheit, sondern eben auch technische Ausstattung und Gebrauchsgegenstände, beispielsweise Akkreditierungskarten. Wir haben unseren Kunden von Anfang an deutlich gemacht, dass wir keine „Pandemiepreise“ kalkulieren, sondern unsere regulären Servicepreise. Das hat zusätzliches Vertrauen geschaffen. So sind wir Wochen später mit weiteren Kliniken ins Geschäft gekommen.
Im Einzelhandel waren Sie nicht im Einsatz?
Doch, die Zahl der Anfragen war in der dritten März-Woche geradezu irrsinnig. Doch auch hier haben wir eine ganz klare Geschäftspolitik verfolgt: Angenommen haben wir nur Direktaufträge, nicht eingelassen haben wir uns auf Subunternehmer- und Billigheimer-Anfragen. Uns ging es um den Aufbau langfristiger Geschäftsbeziehungen. Hierfür war die Wahrscheinlichkeit bei Kliniken und Pflegeheimen hoch. Auf Umsatz um jeden Preis haben wir bewusst verzichtet. Gerade bei den Zutrittskontrollen für viele große Einzelhandelsketten war die weit verbreitete und immer wieder kritisierte Praxis unserer Branche mehr denn je zu beobachten: die Subsubsub-Auftragsvergabe, auf deren untersten Ebene der Subunternehmer nichts mehr verdient, wenn er seinen Mitarbeiter mindestens den Tariflohn zahlt.
Wie sah die Lage bei Ihren Industriekunden aus?
Es gab einzelne Verschiebungen durch Kurzarbeit, Produktionsdrosselung und Reisebeschränkungen. Dadurch wurden beispielsweise die Empfangsdienste verringert. Aber insgesamt konnten wir den geplanten Umsatz halten. Auch hier haben wir von Anfang an mit den Kunden das Gespräch über die für die Corona-Zeit geplanten Sicherheitskonzepte gesucht. Einerseits, um uns auf Änderungen einzustellen, andererseits aber auch für die Auftragsakquise – eine tolle Gelegenheit. Oberste Priorität hatte freilich, keinen Bestandskunden zu vernachlässigen. Deswegen haben wir das Personal auch nicht bis zum letzten Mitarbeiter ausgereizt, sondern vielmehr vorausschauend Ressourcen aufgebaut für den Fall, dass beispielsweise jemand erkrankt.
Sie haben während der Krisenmonate sogar zusätzliches Personal eingestellt. Eigentlich ist der Arbeitsmarkt – wie in anderen Branchen auch – für das Sicherheitsgewerbe leergefegt. Haben Sie denn genügend Fachkräfte gefunden?
Leider hat die wachsende Zahl von Arbeitslosen und Kurzarbeitern die Situation wohl etwas entspannt, sodass wir in der Tat mehr Bewerbungen verzeichnen konnten als noch Monate zuvor. Das hat uns freilich in die Lage versetzt, bei der Auswahl von Mitarbeitern wählerischer zu sein, sodass wir echt gut Leute einstellen konnten. Andererseits hat die Tätigkeit als Sicherheitskraft wohl auch recht schnell an Attraktivität gewonnen. Viele Leute haben die „Systemrelevanz“ der Branche schon erkannt, bevor Securitas und der BDSW das Thema in die Öffentlichkeit gebrachten. Fassungslos war ich jedoch, als der BDSW seine eigenen, jahrelang aus guten Gründen gestellten Forderungen nach strengeren Qualifizierungsstandards für das Sicherheitspersonal konterkarierte: Die Zutrittskontrolle für Supermärkte stufte er aus heiterem Himmel, wenn auch nur intern, als reine Service- statt als Sicherheitsleistung ein – Qualifizierung entbehrlich, vom Tariflohn ganz zu schweigen. Aus den schlechten Erfahrungen mit der Bewachung von Flüchtlingsheimen vor einigen Jahren offensichtlich nicht das Geringste gelernt.
Vergabekriterium Preis statt Qualität – das leidige Problem des Sicherheitsgewerbes. BE SAVE freilich hat mit Qualitätsdienstleistung in der Krise nicht nur überlebt, sondern ist gewachsen. Ein Hoffnungsschimmer für die Branche?
Das kann man vermutlich nicht verallgemeinern. Wir haben das Beste aus der Situation gemacht. Sicherheitsfirmen, die bisher erfolgreich waren, werden es wahrscheinlich auch weiterhin sein, vielleicht temporär mit verspäteten Einnahmen. Auf Event Security spezialisierte Anbieter dürften allerdings in Schwierigkeiten geraten. Die großen Platzhirsche wiederum können Einnahmeausfälle per „Quersubventionierung“ überbrücken – um dann jedoch nach der Krise so weiterzumachen wie bisher. Sie sind einfach zu schwerfällig, um sich zu ändern. Von der Krise profitieren könnten Mittelständler wie BE SAVE – wenn sie beweglich und pfiffig sind. Unsere einzigen Wachstumsmöglichkeiten sind entweder Spezialisierung oder Qualität oder beides zusammen. Ersteres kann zum Problem werden, siehe Event Security. Für Zweiteres braucht man Mut, Ideen und Durchhaltevermögen. Außerdem braucht man die Einsicht, klassische Fehler nicht zu wiederholen.
Welche Fehler meinen Sie?
Zum Beispiel das Subunternehmergeschäft. Daran verdient niemand, am wenigsten die Mitarbeiter – und Qualitätsdienstleistung lässt sich damit auch nicht erbringen. Wer weiterhin mehrheitlich aufs Sub-Geschäft setzt, dem ist bei der nächsten Krise einfach nicht mehr zu helfen.
Welche grundsätzliche Lehre ziehen Sie für mittelständische Sicherheitswirtschaft aus Ihren Erfahrungen in der Krise?
Vor allem eine Binsenweisheit: Dass man mit Qualität und Innovation Geld verdienen kann.